Ali feiert 70. Geburtstag - Im Pantheon der Menschenwürde

«Zurück

17.01.2012 06:55 Uhr

Muhammad Ali (rechts) in seinem dritten Kampf gegen Joe Frazier 1975 in Manila

Als Denkmal seiner selbst und ungeachtet aller Gebrechen begeht Muhammad Ali heute den 70. Geburtstag

Er war 1960 Olympiasieger und später dreimal Schwergewichtsweltmeister im Preisboxen. Weil Muhammad Ali überdies Showtalent sowie ein soziales Gewissen besass, wurde er rund um die Welt zum Idol. Übrig bleibt davon ein langer Schatten.

Rod Ackermann

Am Platze wären die bei siebzigsten Geburtstagen übliche Würdigung von Leben und Werk, die obligate Hommage an die Bedeutung, die Muhammad Ali, einer der weltweit bekanntesten lebenden Menschen, als Boxweltmeister und erster globaler TV-Unterhalter besass. Nicht weniger angebracht wäre eine Hymne an die Wirkung, die er als Verweigerer des Kriegsdienstes in Vietnam erzeugte sowie als Vorkämpfer der Bürgerrechte seiner dunkelhäutigen Brüder und Schwestern in den USA.

Doch damit wird man dem Phänomen Ali kaum gerecht. Auf Papier lässt sich Charisma schwerlich wiedergeben. Ebenso wenig wie die Resonanz, die er in den sechziger und siebziger Jahren mit seinen Fäusten und seinen Worten erzeugte. So möge hier die Feststellung genügen, dass bis heute keine Figur aus dem Sport auch nur annähernd den mythischen Status erlangte wie Ali.

Messias und Pop-Star

Wer nie das Glück hatte, ihn zu seinen besten Zeiten zu erleben, kennt The Greatest, wie er sich schon früh selber nannte, allein vom Hörensagen. Wer nie mitten in der Nacht aufstand, um fiebernden Atems die Direktübertragung einer seiner Titelkämpfe zu verfolgen, wer nie seine Eleganz im Ring, sein Showtalent und seine Redegewalt bewundern durfte, kann bestenfalls erahnen, was Ali für die Verdammten dieser Erde bedeutete und ausserdem für die 68er Generation. Den einen erschien er wie ein Messias, den anderen war er ein Star der Pop-Kultur - so umwerfend wie die Beatles, aber schöner. Umso trauriger zu sehen, was von alledem übrig geblieben ist: ein kranker, gebrechlicher Mann, gezeichnet von der Schüttellähmung, des Wortes kaum mehr mächtig, wohl aber noch des aufrechten Ganges. Den hat sich Ali, nur mehr ein Schatten seines früheren Selbst, durch alle Höhen und Tiefen hindurch bewahrt. Selbstmitleid ist ihm fremd, der Kontakt mit der Welt wichtig. Wo immer er auftaucht, versammelt sich eine Menschenmenge. Leibwächter benötigt er, auch das eine Seltenheit, keinen einzigen.

Bei solchen Szenen kommt unweigerlich Nostalgie auf. Sehnsucht nach einer Epoche, als sich Sportler - zumeist schwarze Amerikaner - politisch betätigten, als sie das Establishment herausforderten und die olympisch vielbeschworene «Jugend der Welt» begeisterten. Als neben dem allmächtigen Dollar sowie den paar Minuten Youtube-Berühmtheit auch noch andere Werte zählten, etwa Fairness und die Rolle des Vorbilds.

Gewiss, auch in seiner Generation war Muhammad Ali ein Sonderfall. So wie die Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos, die auf dem olympischen Podest die geballte Faust zum Black-Power-Salut erhoben. So wie der Basketball-Star Kareem Abdul-Jabbar, der es aus Protest gegen die Politik der Washingtoner Regierung ablehnte, sich fürs US-Olympiateam aufstellen zu lassen. Heutzutage aber gilt im Spitzensport weltweit die Norm der political correctness, des hochbezahlten Wohlverhaltens, Ausnahmen kommen kaum noch vor. Bei all der Bravheit sucht man vergeblich nach einem US-Ausnahmeathleten, der - in Abwandlung des legendären Ali-Spruchs «I got nothing against no Vietcong» - offen und laut sagen würde, er habe nichts gegen die Taliban.

Müssig bleibt ausserdem die Suche nach einem, der sich so glänzend darauf verstand, aus seinem Sport eine Show zu machen und aus seiner Show einen Sport. In dieser Hinsicht verwischte Ali als Unterhaltungsgenie Grenzen, die heute keiner mehr kennt. Dem Grundsatz folgend, dass die Wahrheit immer ausgesprochen werden darf, sofern zuerst das Publikum zum Lachen gebracht wird, sagte er offen, was viele nur zu denken wagten. Sein schier unerschöpflicher Redefluss war Rap der allerersten Stunde und der Zeit voraus. Bedauerlich nur, dass die Ironie seiner Sprüche am Grossteil der nichtamerikanischen Öffentlichkeit vorbeiging. In Unkenntnis des schwarzen Amerikanern eigenen Humors nahm sie all die Übertreibungen für bare Münze.

Die Welt hat sich verändert seit seiner grossen Epoche. Im Weissen Haus regiert ein schwarzer Mann, den Champion im Schwergewichtsboxen kennen nur noch Eingeweihte. So hat denn Muhammad Ali, der einst Angefeindete, später Umstrittene und schliesslich widerwillig Anerkannte, nach jahrzehntelangem Kampf seinen Frieden geschlossen mit der Welt. Beseelt wird er durch tiefe Gläubigkeit als Muslim und seinen Einsatz in wohltätigen Werken.

Selbst die sogenannte schweigende Mehrheit, die ihn erst verspottete und darauf drangsalierte, hat Ali allmählich zu bewundern gelernt. Im Sommer 1996 versöhnte sie sich endgültig mit ihm, als er an der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele von Atlanta die Flamme entzündete. Dabei war nicht zu übersehen, wie aus der Faust des Rebellen eine zittrige Hand geworden war. Man hatte von ihm nichts mehr zu befürchten, konnte ihn zu guter Letzt ins Sternenbanner wickeln.

Mögen die Zahl der im Laufe eines Boxerlebens eingesteckten Kopftreffer und wohl auch genetische Veranlagung aus Ali einen körperlich Invaliden gemacht haben, so bleibt ihm ein geruhsamerer Lebensabend vergönnt als anderen namhaften Schwergewichtsweltmeistern vor ihm. Jack Johnson (1878-1946), der erste Champion mit schwarzer Haut, verkam als Schmierenschauspieler, Joe Louis (1914-1981), der erste dunkelhäutige Sportheld der USA, als Grüssaugust eines Casinos in Las Vegas. Anders «der Grösste», der sein komfortables Heim in Paradise Valley (Arizona) immer wieder verlässt, um sich der Welt zu zeigen. So etwa vergangenen November für die Abdankungsfeier von Joe Frazier, seinem erbittertsten Rivalen im Ring, und in diesen Tagen für einen Reigen von Feierlichkeiten zu seinem Siebzigsten.

Zum Schluss der Stolz

Er möge halt Feste und insbesondere Geburtstagspartys über alles, hat Lonnie Ali, seine Gattin, verraten. In dieser Beziehung sei er «ein grosses Kind» geblieben. Vergangenen Samstag versammelten sich Freunde und Bewunderer in seiner Heimatstadt Louisville (Kentucky) im Muhammad Ali Center; zu Gast war auch sein langjähriger Trainer Angelo Dundee. Am Mittwoch treffen sich einstige Berufskollegen, unter anderen auch George Foreman und Sugar Ray Leonard, zu einem Bankett in Las Vegas. Sein 70. Wiegenfest erfülle Ali mit gemischten Gefühlen, hat Lonnie beigefügt. «Einerseits ist er froh, so alt geworden zu sein, anderseits will er sicher sein, dass man ihm seine siebzig Jahre nicht ansieht.»

Bei all dem Rummel bleibt Ali zum Schluss der Stolz, das kostbarste Gut eines Mannes, der das Unglück hatte, mit dunkler Hautfarbe in ärmlichen Verhältnissen eines US-Südstaates auf die Welt gekommen zu sein, dann aber die Courage aufbrachte, sich allen Widerständen zum Trotz einen Platz zuvorderst im Rampenlicht zu erkämpfen. Einen Ehrenplatz im Pantheon, sei es dem sportlichen oder jenem der Menschenwürde. Happy Birthday, Champ! - NZZ 

Sponsoren

Partner