"Leg dich Zigeuner"

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30.06.2009 00:00 Uhr

"Leg dich, Zigeuner" - Die tragische Geschichte des Johann Wilhelm Trollmann

30.06.2009 - An der vorverlegten Geburtstagsfeier der Ring- und Punktrichter-Legende Franz Marti in Zofingen (Marti feiert am 6. Juli seinen 80. Geburtstag; Bericht folgt) durfte ich mit dem Delegierten des Deutschen Berufsboxverbandes, Arthur Ellensohn, ein interessantes Gespräch unter Box-Aficionados führen. Ellensohn erzählte mir die hochinteressante Geschichte des in den 20-er und 30-er-Jahren berühmten deutschen Boxers Johann Wilhelm "Rukeli" Trollmann. Trollmann ist in der Zwischenzeit leider in Vergessenheit geraten. Die Recherche im Internet hat die vom "Spiegel" Ende 2003 publizierte Geschichte "Leg' dich Zigeuner!" zu Tage gebracht, die ich den Besuchern von swissboxing.ch nicht vorenthalten möchte.

Jack Schmidli



"Leg dich, Zigeuner"

Der Sinto Johann Wilhelm Trollmann zählte zu den besten Faustkämpfern der Weimarer Republik. Die Nazis fanden seinen tänzelnden Kampfstil undeutsch - und ermordeten ihn im KZ.

Wenn Johann Wilhelm Trollmann durch den Ring tänzelte, wirkte alles an ihm leicht und unbeschwert. Den Hieben seiner Gegner wich der drahtige junge Mann mit Pendelbewegungen und flinken Schritten aus, blitzschnell setzte er seine eigenen Schläge, ansatzlos und sauber platziert. Während der Kämpfe spaßte er mit dem Publikum, manch einer der vielen Frauen warf er eine Kusshand zu - und den dazwischen grölenden Männern eine passende Antwort an den Kopf.

Trollmann, 1907 geboren, belebte den deutschen Boxsport der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre wie kaum ein anderer: Rukelie, so sein Rufname, bot Faustfechten statt einer Prügelei. Mit seiner schwarzen Lockenmähne und den schönen braunen Augen avancierte der groß gewachsene Athlet zum Sexsymbol. Die Damen schwärmten für ihn, konstatierte der "Hannoversche Anzeiger", aber "auch die Kerle kommen gern".

Das ist der eine Teil von Trollmanns Geschichte. Der andere beginnt mit Adolf Hitlers "Machtergreifung" und endet am 9. Februar 1943. An diesem Tag wird Trollmann ermordet. SS-Schergen erschießen ihn im KZ Neuengamme bei Hamburg.

Denn Johann Wilhelm Trollmann, einer der größten Boxer in der Weimarer Republik, war Sinto. Im Juni 1933 gewann er die deutsche Profi-Meisterschaft im Halbschwergewicht, doch tragen durfte er den Titel nicht. Weil die Nazis keinen "Zigeuner" als Champion duldeten, wurde ihm der Titel wegen "undeutschen Boxens" aberkannt. Es war der Beginn einer der größten Tragödien des deutschen Sports.

Lange war Trollmanns Schicksal in Vergessenheit geraten. Doch nun, 60 Jahre nach seinem Tod, wird durch einen formalen Akt an den charismatischen und talentierten Boxer erinnert: Der Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) hat Trollmann jetzt rehabilitiert und zum Meister des Halbschwergewichts im Jahr 1933 erklärt.

Es ist nur eine kleine Korrektur in der Statistik. Und sie erfolgt natürlich viel zu spät. Dennoch wirft der Vorgang ein Licht auf jene dunkle Seite der deutschen Boxhistorie, über die die heutigen Macher so gern Stillschweigen vereinbaren würden.

In der Weimarer Zeit erlebte das Boxen eine zuvor unbekannte Blüte. Nicht nur in der Metropole Berlin strömte das Publikum zu den Kampfabenden, die in politisch und wirtschaftlich wirrer Zeit Zerstreuung boten wie sonst nur Kino oder Varieté. Als Max Schmeling 1930 die Schwergewichtsweltmeisterschaft gewann, stieg er zum Massenidol auf; seine Liaison mit dem blonden Filmstar Anny Ondra machte den Boxsport gesellschaftsfähig.

Die Auftritte von Schmelings Kollegen Trollmann gehörten zu den Hauptattraktionen der schillernden Szene, sogar Hans Albers und Bertolt Brecht saßen am Ring, wenn der Sinto kämpfte. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte Trollmann, als er im Juli 1932 im Freiluftring Friedrichshain den schwerfälligen Favoriten Walter Sabottke demontierte und damit zum Titelanwärter aufstieg.

Doch nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im Januar 1933 erging es dem Faustkünstler Trollmann plötzlich kaum anders als vielen Musikern, Malern oder Schriftstellern. Unverzüglich begann der neue Vorsitzende des Verbandes Deutscher Faustkämpfer (VDF), Georg Radamm, ein altgedientes NSDAP-Mitglied, mit der "Generalsäuberung" des Boxverbands. Juden, "Nichtarier" und Aktive, "die keine nationale Gesinnung nachweisen können", wurden vom Sportbetrieb ausgeschlossen.

Ein anderer Ausnahmekämpfer jener Zeit, der Jude Erich Seelig, zog unmittelbar die Konsequenzen - und floh nach Paris. Trollmann blieb, obwohl er schon längst unter besonderer Beobachtung stand.

Die Nazis verachteten von Anfang an Trollmanns lässigen und technisch feinen Boxstil. "Zigeunerhafte Unberechenbarkeit" und "Flitzen", so nannten sie es, wenn er geschickt den Angriffen des Gegners auswich.

Ein deutscher Boxer hatte wie betoniert im Ring zu stehen, auszuteilen und einzustecken. Je erfolgreicher Trollmann kämpfte, desto brutaler wurde der Hass auf ihn: "Leg dich, Zigeuner, oder wir holen dich und deine Familie", pöbelte ihn ein Braunhemd an, als er wieder einmal einem Gegner schwer zusetzte.

Im Frühling 1933 durfte Trollmann dennoch um den vakanten Titel im Halbschwergewicht boxen. Am 9. Juni stand er in der Berliner Bockbrauerei Adolf Witt gegenüber, einem gefürchteten K.-o.-Schläger, der ihn noch im Vorjahr nach Punkten bezwungen hatte. Diesmal dominierte der wendige Trollmann. Zornig schaffte VDF-Boss Radamm den Meisterkranz beiseite und flüsterte dem Ringrichter etwas zu. Nach zwölf Runden wurde der Kampf "ohne Wertung" beendet, obwohl alle Preisrichter Trollmann nach Punkten klar vorn sahen.

Das skandalöse Urteil löste Tumulte unter den Zuschauern aus. Mit Tränen in den Augen protestierte Trollmann. Um die aufgebrachte Menge zu beruhigen und heil davonzukommen, ließ Radamm ihm den wieder herbeigeholten Kranz umhängen.

Doch der Bonze sann auf Rache. Acht Tage später wurde Trollmann der Titel entzogen. "Ein deutscher Boxer darf nicht weinen, erst recht nicht ein Meister in aller Öffentlichkeit heulen", giftete der "Berliner Lokal-Anzeiger".

Trollmann ahnte, dass er keine Gerechtigkeit mehr zu erwarten hatte. Auf der Straße wurde der Sinto mit dem dunklen Teint immer häufiger angepöbelt. Da er sich aber kaum für Politik interessierte, unterschätzte er seine Situation. Sechs Wochen nach dem umstrittenen Witt-Fight verhöhnte er sogar die dem NS-Rassenwahn folgenden Funktionäre.

Am 21. Juli trat Trollmann mit blond gefärbten Haaren gegen den Dortmunder Gustav Eder an. Seine Haut hatte er mit Mehl bestäubt. Als eine Karikatur des arischen Herrenmenschen ließ er praktisch widerstandslos den fünf Kilo leichteren Weltergewichtler Eder zuschlagen. In der fünften Runde ging Trollmann k. o., heftig im Gesicht blutend - seine Karriere war damit zu Ende. Von den wenigen Kämpfen, die er danach noch bestritt, verlor er die meisten.

Das Fachorgan "Boxsport" verunglimpfte ihn in einem Spottgedicht nach der Niederlage gegen Eder: "War einstmal ein Zigeuner / Jetzt ist er nämlich - koiner / Denn Wasserstoff und Sonnenbrand / In beiden er zu lange stand / Wie haben sie ihn bloß verhunzt / ''Verblichen'' ist selbst seine Kunst."

Selbst nach solcher Hetze dachte Trollmann nicht an Flucht. Allerdings war damals auch noch nicht absehbar, wie weit die Nazis im Umgang mit "Zigeunern" gehen würden. Erst ab 1935 wurden Sinti und Roma ausdrücklich in die Rassengesetzgebung eingeschlossen. Bis heute ist nicht klar, wie viele ihr Leben ließen, die Schätzungen reichen von 220 000 bis 500 000 Menschen in ganz Europa. Trollmanns Biografie hält Frank Reuter vom Heidelberger Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma für "exemplarisch" - eine Lebensgeschichte von Ausgrenzung, Demütigung und späterer Tötung.

Was nach Trollmanns Boxlaufbahn geschah, ist nur lückenhaft bekannt. In jahrzehntelanger Kleinarbeit hat der hannoversche Künstler und Verleger Hans Firzlaff, 82, das Schicksal recherchiert: Trollmann verdingte sich demnach als Rummelplatzboxer und Kellner und tauchte immer wieder unter. "Es braut sich etwas über mir zusammen", soll er mehrmals gegenüber Freunden und Geschwistern gesagt haben.

Er ließ sich von seiner Frau scheiden, um sie und sein Kind vor Verfolgung zu schützen. Wie viele andere Sinti wurde er sterilisiert. Im Krieg diente er an der Ostfront. Als er 1942 verwundet zurückkehrte, verhaftete ihn die Gestapo, folterte ihn und deportierte ihn nach Neuengamme.

Dort schlugen SS-Männer den ausgemergelten ehemaligen Meisterboxer nach Belieben zusammen und hielten ihn noch eine Weile mit Extrarationen an Brot am Leben. Bis zu seiner Ermordung.

Dass Trollmann durch die späte Anerkennung seines Meistertitels noch einmal eine offizielle Würdigung erfährt, hält Bodo Eckmann, Präsident des BDB, "für selbstverständlich". Wenngleich der Boxfunktionär nicht selbst auf die Idee gekommen ist. Erst die Recherchen einer Fernsehjournalistin brachten ihn auf den Fall. Sich noch weiter zu engagieren, lehnt Eckmann indes ab. Es sei "nicht klug", daraus "eine große Sache" zu machen.

 

 

 


 

 

 

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