Chervet vs. Ayvazidi: Hochklassiger Kampf

«Zurück

27.12.2013 19:11 Uhr

Bericht von Gerald Kurth (Text) und Deborah Polasek (Fotos)

27.12.2013 - Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen, der das Publikum phasenweise von den Sitzen riss: Alain Chervet bekam mit Artem Ayvazidi einen Gegner vorgesetzt, der ihn zwar mehrfach ins Wanken brachte, aber bis zuletzt nicht zu fällen vermochte. Mit einer Energieleistung sondergleichen schaffte es der Einheimische, gegen den unglaublich aggressiv und variantenreich boxenden Ukrainer immer wieder überraschend zurückzukommen und mitzuschlagen. Das Unentschieden war der verdiente Lohn für das demonstrierte Stehvermögen Chervets.

Der beste Kampf des Nachmittags: Artem Ayvazidi vs. Alain Chervet

So war auch die Wertung letztlich vertretbar, auch wenn Ayvazidi über sechs Runden mehr klare Punkt- und Wirkungstreffer verbuchen konnte. Hut ab vor dieser Leistung Chervets – es war beeindruckend mitzuerleben, wie sich der Berner gegen den drohenden K.O. stemmte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er zweimal in extremis vom Gong gerettet wurde.

Alain Chervets Kampf war der boxerische Höhepunkt einer weiteren Auflage des traditionellen Boxing Day im ausverkauften Berner Kursaal, der unter der routinierten Regie von Daniel Hartmann, Präsident der Boxing Kings, gewohnt reibungslos und publikumswirksam ablief. Das Team der Boxing Kings hatte im Rahmen seiner Kooperation mit mehreren Schweizer Klubs einmal mehr Gastboxer nach Bern eingeladen, um so dem Publikum nicht weniger als vier Profifights anzubieten: Neben dem Berner Eigengewächs Chervet traten deshalb auch der Thuner Mischa Nigg, der Asconeser Riccardo Silva und Arnold Gjergjaj, „The Cobra“ aus Basel, am nachweihnächtlichen Berner Kampfabend auf. Hartmann hat mit dem reichhaltigen Profiprogramm einmal mehr den Beweis dafür erbracht, dass er die grossen Meetings auch nach dem Rücktritt von Yves Studer und der Beendigung der Zusammenarbeit mit Aniya Seki publikumswirksam und organisationssicher aufzieht.

Gjergjaj war ohne eigenes Verschulden für den sportlichen Wermutstropfen des Abends besorgt: Der ungeschlagene Schwergewichtler beendete seinen als Hauptkampf angesetzten Auftritt schon nach knapp zwei Minuten in der ersten Runde, nachdem sich sein als Knockouter angekündigter brasilianischer Gegner dreimal hingelegt hatte: Gilberto Domingos erwies sich als, man muss es so drastisch ausdrücken, Rohrkrepierer. Er brachte kein einziges Mal die Kraft dazu auf, den Job zu erledigen, für den er eigentlich nach Bern geholt worden war. Beim besten Willen war nicht einmal die Andeutung eines Schlages zu erkennen, den er in Richtung Gjergjaj abgefeuert hätte. Auch wenn das Publikum sich deshalb zurecht verschaukelt fühlte: Es war richtig und konsequent, dass Ringrichter Beat Hausammann den Kampf wegen offensichtlicher Arbeitsverweigerung des Brasilianers in der ersten Runde abbrach und einem absehbar verheerenden K.O. vorbeugte. Gjergjaj steht nun bei 23 Siegen nach 23 Kämpfen.

Die Boxfans brauchten ihr Kommen dennoch nicht zu bereuen. Schon vor den Profifights waren sie mit einer Exhibition zwischen Schweizer Meisterin Zora Schaffer (BTO Thun) und dem erst 15jährigen Jungtalent Fiona Wyss (Boxen zur Bildung) sowie teils attraktiven Elitekämpfen auf die Profis eingestimmt worden: So bewies der Walliseller Ahmed Altintas seine kontinuierlichen Fortschritte gegen den doppelt so alten Berner Dean Cellina im letzten Kampf als Amateur. Sehenswert war auch der ausgesprochen athletisch geführte Fight zwischen dem Puncher Rrezoart Gashi und dem kurzfristig aus München aufgebotenen Rachad Kpekpassi.
 

Die Profikämpfe

Leichtgewicht:

Alain Chervet (Boxing Kings, CH) vs. Artem Ayvazidi (UKR)

Kaum einer hätte nach der ersten Runde einen solchen Kampfverlauf erwartet: Alain Chervet präsentierte sich perfekt austrainiert und agil. Er dominierte den einen Kopf kleineren Ukrainer Ayvazidi mit seinen zu Kopf und Körper geschlagenen Haken. Auch die zweite Runde nahm zu Beginn denselben Verlauf. Ayvazidi machte sich aber zunehmend kleiner und begann, Chervet immer stärker über dessen öfters leicht hängende Deckung zu attackieren. Auch die zweite Runde gehörte aber insgesamt noch Chervet. In der dritten Runde legte aber der Ukrainer noch mehr zu: Mit seinen ausgezeichneten Schwingern traf er Chervet gleich mehrfach. Der musste zu Boden und war sichtlich benommen. Mit taktischem Klammern, aber auch dem unbedingten Willen stehen zu bleiben, überlebte Chervet die Runde.



Der Berner hatte aber unter Ayvazidis Pressing seinen wichtigsten Trumpf preisgegeben: Statt den Ukrainer durch konsequente Beinarbeit auf Distanz zu halten und so seine Reichweitenvorteile auszuspielen, liess er den Ukrainer regelmässig in dessen bevorzugte Halbdistanz aufrücken. Und dort packte der Ukrainer sein ganzes Repertoire aus: Da waren reihenweise Auf- und Seitwärtshaken, alle hart und präzise geschlagen, die Chervet auch in der fünften Runde so zusetzten, dass er in höchster Not vom Gong gerettet werden musste. Mit seinem aufopferungsvollen Kampf konnte Chervet den drohenden K.O. auch in der sechsten Runde abwenden und sogar noch den einen oder anderen Offensivakzent setzen. Ayvazidi war letztlich auch nicht mehr in der Lage, zum ultimativen Niederschlag anzusetzen. Am Ende war es ein offener Schlagabtausch mit einem völlig erschöpften Alain Chervet, der stehen blieb und sich mit seinem tollen Kampf die Anerkennung von Gegner und Publikum sicherte. Wie eng sich das Gefecht über sechs Runden gestaltete, verdeutlicht die Einzelwertung der Punktrichter:

Thomas Zimmermann:        57:57
Domenico Gottardi:  56:58 (Ayvazidi)
Armin Bracher:      58:57 (Chervet)


Supermittelgewicht:

Mischa Nigg (Box Gym Thun, CH) vs. Boris Akopov (UKR)

Der Thuner Nigg hatte zwar nicht den härtesten, aber bestimmt den unangenehmsten Auftrag dieses Abends zu erledigen: Boris Akopov, einer von drei aus derselben ukrainischen Ecke angereisten Profis, verlegte sich bald einmal auf Clownerien und unsportliche Provokationen, zur offensichtlichen Erheiterung einiger Zuseher mit dem Bedürfnis nach seichter Unterhaltung. Akopov drehte sich mehrfach regelwidrig vom Gegner weg und produzierte auch sonst allerlei Faxen. Meist jedoch verzog er sich in eine Ecke des Ringgevierts und liess bisweilen aufblitzen, dass er boxerisch einiges drauf hätte und obendrein über hervorragende Nehmerqualitäten verfügt: Obwohl ihn Nigg mit harten und präzisen Körperhaken zu beeindrucken versuchte, um so die Deckung runterzuziehen, liess sich Akopov kaum je treffen.

Beendete auch seinen 4. Sieg als professioneller Boxer vorzeitig: Mischa Nigg aus Thun 

Er blieb lange ausgesprochen kompakt und lancierte sogar clownesk ausholende, aber präzise durchgezogenen Upper cuts, die bisweilen sogar den Weg ins Ziel fanden. Kurzum: Ein schwierig zu boxender Gegner, der fast jeden kirre gemacht und zu wütenden Kurzschlussreaktionen verleitet hätte. Nicht so Nigg: Der Thuner blieb ruhig und wich keine Sekunde von der taktische Linie ab. Auch wenn seine Haken zu Kopf und Körper lange keine Wirkung beim Gegner hinterliessen, marschierte Nigg besonnen vorwärts und spulte sein Programm unaufgeregt ab. So dauerte es fünf Runden lang, bis die entscheidende Rechte am Körper Akopovs einschlug. Der Ukrainer musste zu Boden und war nach dem Anzählen nicht mehr rechtzeitig bereit (oder wollte er nicht mehr?). Fazit: Eine reife taktische Leistung Niggs gegen einen Gegner, der leider seine durchaus vorhandenen Qualitäten hinter einem Übermass an boxsatirischer Energie verbarg.
 

Weltergewicht:

Riccardo Silva Ramos (BC Ascona, CH) vs. Dmytro Bogačuk (UKR)

Der hauptberufliche Krankenpfleger Silva gab eine weitere überzeugende Visitenkarte ab. Gegen den soliden Ukrainer Bogačuk spielte der Tessiner einmal mehr seine Stärken aus: Seine Punktemaschine, den blitzschnellen rechten Jab, aber auch die ohne Führhand einzeln geschlagene Linke. Und all dies mit gleich bleibender Präzision. Silva verrichtet zudem auch gerne viel Fussarbeit, so dass er sich auch einem aufsässig nach vorne marschierenden Gegner wie Bogačuk zumeist entziehen kann.

War klar der Chef im Ring: Ricardo da Silva 

Weil der Tessiner zudem, ebenso wie sein ukrainischer Kontrahent, ein ausgesprochen fairer Sportsmann ist, entwickelte sich ein offensiver und technisch ansprechender Kampf. Dass beide Boxer wegen unabsichtlichen Kopfstosses oder kumulierter Schlagwirkung bluteten, erweckte einen falschen Eindruck. Der Kampf blieb bis zuletzt absolut fair. Die Reflexe des von Silvas knackigen Jabs zunehmend gezeichneten Ukrainers wurden langsamer, und so wäre es in der sechsten und letzten Runde beinahe noch zum K.O. gekommen: Silva traf Bogačuk erst mit einem herrlichen rechten Aufwärtshaken und schickte gleich einen perfekten linken Kopfhaken hinterher. Der Ukrainer musste zu Boden, rappelte sich aber noch mal auf und schaffte es über die Runden. Der eindeutige und verdiente Sieg war aber Silva nicht mehr zu nehmen.

Die Wertung der Punktrichter:

Domenico Gottardi:         59:54
Thomas Zimmermann:  60:53
Armin Bracher:   60:53
 
Elbasan Kquiku (r.) besiegt seinen Gegner Aleksander Aleksic vorzeitig  Ringsprecher Albi Saner interviewt Verbands-Präsident Andreas Anderegg

                

 Resultatübersicht

                             

 

       

                    

 

Sponsoren

Partner