Der Chemiepokal darf nicht sterben

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28.07.2014 19:36 Uhr


Die 41. Auflage des Chemiepokals ist zu Ende. Das traditionsreichste Boxturnier Deutschlands diente den Kaderboxern der DDR zur Vorbereitung auf EM, WM und Olympische Spiele. Wie es mit dem Turnier weitergehen wird, ist ungewiss, denn Sponsoren bleiben aus.
 

Wolfgang Wycisk

Nach vier Tagen und 96 Kämpfen standen sie fest, die neuen Titelträger des 41. Chemiepokals, der vom 28.5 – 31.5. im Maritim Hotel in Halle ausgetragen wurde. Auch dieses Jahr war für die Organisatoren eines der weltweit wichtigsten Boxturniere sehr viel Arbeit notwendig. Bis zur Wende war es Tradition, dass die Generaldirektoren der chemischen Industrie des Bezirkes Halle den Chemiepokal mit unterstützten und damit der Stadt Halle und deren namensgebender Industrie zu Weltruhm verhalfen.

Mit dem Fall der Mauer begannen die Schwierigkeiten. Die Chemiekombinate aus Schkopau, Leuna und Bitterfeld kämpften ums Überleben. Sie wären die perfekten Übernahmekandidaten der Industrie-Riesen DOW Chemical und Elf gewesen, doch ihre neuen Manager hatten keine Bindung zum halleschen Traditionsturnier und erkannten nicht dessen Stellenwert für die Region.

Danach ist der Chemiepokal durch den Landesamateur-Boxverband Sachsen Anhalt (LABVSA) organsiert worden. 2010 kam der Eklat. Aufgrund unüberschaubarer Risiken bei der Finanzierung musste der Wettkampf abgesagt werden.

Ein Jahr später beauftragte der Deutsche Boxsport-Verband den LABVSA und den Box-Club KSC Halle mit der Ausrichtung des Chemiepokals. Seitdem ging es mit ihm wieder aufwärts.

Doch ohne neue Sponsoren wird der Chemiepokal sterben. Das weiß auch DBV Präsident Jürgen Kyas. In intensiven Gesprächen mit Politik und Wirtschaft lotet er deren Bekenntnis zum halleschen Traditionsturnier aus. Insbesondere das klare „Ja“ von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht macht ihm Mut, die Finanzierung auch zukünftig absichern zu können. Kyas würde sich gerne mit seinen Gesprächspartnern an den Tisch setzen, um gemeinsam mit ihnen ein Veranstaltungskonzept zu entwickeln, von dem jeder etwas hat. Gute Ideen gibt es genügend, sie müssen nur noch gehört werden. Viel Zeit hat der oberste Boxfunktionär nicht mehr, denn die Planungen für die 42. Auflage des Chemiepokals werden in Kürze anlaufen.

Wie alles begann

Bereits 1968 warnte der Boxfunktionär und AIBA Kampfrichter Joachim Wolf davor, dass nur Länderkämpfe zukünftig nicht ausreichen werden, um sich auf Großturniere wie Europa-, Weltmeisterschaften und Olympische Spiele vorzubereiten. Wolf hatte die Vision eines internationalen Wettstreits, mit der die Spitzenstellung des DDR–Boxsports gefestigt werden sollte. Natürlich hatte er die Förderung seiner Hallischen Boxer ebenfalls im Blick, die über den Chemiepokal Zugang zur Nationalstaffel finden sollten. Hierbei hatte er sich am Großturnier des Berliner TSC orientiert.

Politik und Industrie waren von seiner Idee begeistert. Horst Sindermann, der erste Sekretär der SED Bezirksleitung Halle und die Generaldirektoren der umliegenden Chemiekombinate erkannten das Potenzial des Turniers.

Oswald Bärwinkel, Generaldirektor des VEB „Chemische Werke Buna“, wurde Leiter des ersten Turnierkomitees.

Am 5. August 1970 war es dann soweit. 82 Sportler aus zehn Ländern boxten in der ausverkauften Eissporthalle am Gimritzer Damm um den Chemiepokal. Fast jedes Jahr wurden neue Rekorde aus Halle verkündet. Mal waren es die gemeldeten Nationen, mal die Anzahl der teilnehmenden Boxer. Woran lag diese einzigartige Beliebtheit des Turniers? Es war die boxerische Qualität, die geboten wurde, denn die Weltbesten waren da: Unter anderem Teofilio Stevenson und Felix Savon aus Cuba. Beide gewannen drei Olympische Goldmedaillen. Sven Ottke, Siegfried Mehnert, Henry Maske und Ulli Kaden, dem 1986 das Kunststück gelang, Stevenson auf dem Chemiepokal zu schlagen. Vitali Klitschko gewann den Chemiepokal 1995. Die großen Namen sind zahlreich und neue werden hinzukommen.

Stimmen zum Chemiepokal

Karl Heinz Mielke, 72 Jahre, aus Burgwedel, Rentner

Das erste Mal war ich auf dem Chemiepokal 1992, noch in der Eissporthalle. Mich faszinieren die Top Boxer aus allen Ländern, ganz besonders die Kubaner und natürlich unsere Jungs. Die meisten kenne ich schon persönlich. Für mich ist es der sportliche Höhepunkt des Jahres innerhalb von Deutschland. Ohne den Chemiepokal würde mir etwas fehlen.

Andreas Anderegg, 57 Jahre, aus Frauenfeld/Schweiz, Präsident des Schweizer Boxverbands “SwissBoxing“

Es gibt wenige Turniere in Westeuropa, die auf so einem hohen Niveau Boxen anbieten. Ein sicheres Zeichen, dass der Chemiepokal ein Top-Niveau bietet, ist das es auch bei umstrittenen Entscheidungen keine großen Diskussionen gibt. Ich kenne den Chemiepokal seit meiner Kindheit her. Damals gab es noch den eisernen Vorhang. Und wenn von dem Chemiepokal gesprochen wurde, war Halle gemeint. Es war eine Ehre auf dem Chemiepokal zu boxen. Wer in Halle gewinnt, gehört zu den Weltbesten. Es wäre sehr zu bedauern, wenn es den Chemiepokal nicht mehr gäbe, in Westeuropa würde etwas fehlen.

Hennie van Bemmel, 60 Jahre, aus Apeldoorn/Holland, holländischer Disziplintrainer Männer

Ich war mit meinem Sportler Orhan Delibas 1992 auf dem Chemiepokal. Dort hat er dann Gold gewonnen. Es war der Auftakt zu seiner Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona. Letztes Jahr gewann Peter Mullenberg den Chemiepokal. Im gleichen Jahr holte er auf der EM Silber.

Für mich ist der Chemiepokal ein ganz wichtiges Turnier. Hier kann ich sehen, ob meine Boxer bereit sind für die Weltspitze. Wenn es den Chemiepokal nicht mehr gäbe, würde ich ihn sehr vermissen. Es ist ein Glück, dass ein derartig hochkarätiges Turnier sehr gut von Holland aus zu erreichen ist. Vor allem, dass Veranstaltung, Verpflegung und Unterbringung im Maritim Hotel ist, hat überaus große Vorteile für die Sportler und Betreuer.

Frank Koch, 54 Jahre, aus Montabaur, Geschäftsführer Sportart3 / adidas Boxing

Der Chemiepokal in Halle ist für mich das wichtigste Turnier im Olympischen Boxen. Gerade für mich als Ausrüster des Deutschen Boxverbands ist der Chemiepokal eine sehr gute Möglichkeit, um die Marke adidas in allen Box-Nationen zu präsentieren. Wenn es den Chemiepokal nicht mehr gäbe, würde in Halle und im Olympischen Boxen eine unglaublich große Lücke entstehen.

Stefan Härtel, 26 Jahre, aus Berlin, Student und zukünftiger Jungprofi beim Team Sauerland

Ich habe den Chemiepokal dreimal gewonnen. Es ist nicht nur in Deutschland das wichtigste Turnier, sondern eines der wichtigsten der Welt zur Standortbestimmung. Es ist das größte Turnier, das ich neben EM, WM und Olympia bestritten habe. Wenn man sich das Teilnehmerfeld anschaut, sieht man, dass die Hallenser etwas richtig machen. Wenn es den Pokal nicht mehr gäbe, wäre es für Halle und Deutschland ein großer Verlust. 

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