Schweizermeisterschaften in Lausanne

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01.12.2014 20:49 Uhr

02.12.2014 - Die Boxszene Schweiz darf zufrieden sein: Es war nicht einfach, in Lausanne den Titel zu holen. Von den rund 450 lizenzierten Boxerinnen und Boxern der Schweiz hatten sich 65 Athleten und 22 Athletinnen zu den Meisterschaften qualifiziert. Erfreulicherweise hingen die Trauben dieses Jahr höher als auch schon: ein möglicher Titelgewinn war kein Spaziergang.  Spektakuläre Finalpaarungen sorgten im Vorfeld für Spannung und das Publikum in der Vieux-Moulin Halle in Lausanne wurde nicht enttäuscht. Nach 45 Jahren wurden die Meisterschaften erstmals wieder in Lausanne entschieden. Fouad Ben Saoud und sein Team vom CLB haben die anspruchsvolle Aufgabe hervorragend bewältigt. 
 

Bericht von Ueli E. Adam (Text) und Deborah Polasek (Fotos)

Die Finalteilnehmer vor ihren Kämpfen

Die Titelkämpfe im Matchtelegramm

Elite 56 kg: Valentino Herrera (SR St. Gallen) vs. Dat Tai Pham (BC Nyon)

Der junge St. Galler machte gegen den Titelverteidiger aus Nyon zunächst eine gute Figur und konnte die erste Runde durchaus ausgeglichen gestalten. Ab der zweiten Runde drehte Pham aber auf und brachte Herrera dank seiner Erfahrung und mit variablen Körper-Kopf-Treffern aus dem Konzept. Leider konnte Dat Tai Pham trotz dieses Sieges seinen Titel nicht verteidigen, da im Bantamgewicht keine weiteren Athleten an den Start gingen.

Nicole Känel (r.) besiegte die tapfere Marie Tschumi knapp nach Punkten

Frauen 56 kg: Nicole von Känel (BA Bern) vs. Marie Tschumi (SC Lausanne)

Die Bernerin bekam es mit einer Gegnerin zu tun, die im Halbfinal die gut qualifizierte Catherine Ulrich (BC Châtel-St.-Denis) klar dominiert hatte. Dass die Aufgabe für von Känel nicht einfach sein würde, zeigte sich bereits in der ersten Runde. Tschumi versuchte druckvoll anzugreifen, wurde aber durch die schnellen Geraden der Bernerin in Schach gehalten. Allerdings fand von Känel erst ab Mitte der dritten Runde ein klar erkennbares Konzept. Sie boxte die Puncherin aus der Romandie mit technisch sauberem Boxen aus und holte sich verdient den Titel.

Setzte an den Schweizermeisterschaften ein Glanzlicht: Ahmed Altintas, der nur dank einer Sonderbewiligung der Technischen Kommission bei der Elite mitboxen durfte

Elite 60 kg: Ahmed Altintas (BC Wallisellen) vs. Eren Oener (BK Boxring Bern)

Für einen ersten Höhepunkt sorgten zwei Kämpfer, die im Ring bestes Boxen zelebrierten. Das grosse Talent aus Wallisellen bestach mit einer blendenden Technik und einem erstklassigen Ringinstinkt. Das war aber auch nötig: Eren Oener, der 2014 nach einer einjährigen Ringpause erst kürzlich wieder sein Comeback gab, ist ein Mann, der jeden Kampf für sich entscheiden kann. Nachdem er im Halbfinal den Walliser Julien Baillifard überzeugend ausgeschaltet hatte, scheiterte er am hervorragend boxenden Ahmed Altintas. Eine leichte Verletzung aus dem Halbfinal und die Ringpause mögen Oener vielleicht  leicht irritiert und an der vollen Entfaltung seines Könnens gehindert haben. Mit Ahmed Altintas holte sich aber ein Mann den Titel, der weiterhin für Furore sorgen dürfte.

Tina Asmussen liess während des gesamten Kampfes nichts anbrennen und gewann diesen einstimmig nach Punkten

Frauen 57 Kg. Tina Asmussen (BR Basel vs. Leila Cucinelli (BC Martigny)

Die beiden Boxerinnen boten einen attraktiven Kampf. Die Baslerin überzeugte gegen die keineswegs inferiore Gegnerin mit Coolness, Augenmass und guter Technik. Ab der zweiten Runde war klar, dass ihr der Sieg nicht zu nehmen sein würde. Dank sauberen Geraden und einem guten Schlagrepertoire wurde sie verdient Schweizermeisterin.

Rapha!el Arguello (r.) brachte einige Hände mehr in Ziel und besiegte Daniel Egbide klar nach Punkten

Elite 64 kg: Raphaël Arguello (Lausanne Boxing) vs. Daniel Egbide (BC Genevois)

In einem animierten Gefecht suchten beide Finalgegner den Sieg. Daniel Egbide hinterliess von Beginn weg den druckvolleren Eindruck. Dies verleitete Arguello offensichtlich, obschon klar grösser als Egbide, den Infight anzunehmen und sich in einen Nahkampf einzulassen, anstatt den Genfer mit langen Händen unter Druck zu setzen. Egbide reagierte sofort auf diese eher ungewöhnliche Kampfführung und stoppte Arguello mit klassischen Uppercuts.  Umso verblüffender deshalb das Urteil der Jury: Arguello wurde mit einem klaren  3:0 zum neuen Schweizermeister gepunktet. Es ist dies eine Wertung, die sicher berechtigt, aber nicht für alle nachvollziehbar war.

An Dramatik kaum zu überbieten: Egzon Maliqaj (l.) und Andranik Hakobian kämpften als ginge es um Legen und Tod

Elite 69 kg: Egzon Maliqaj (BS Gebenstorf) vs. Andranik Hakobian (City BG Baden)

Der amtierende Schweizermeister bekam es mit einem Mann zu tun, der schon am Vortag für Furore gesorgt hatte. Hakobian hatte den jungen und erstklassig boxenden Urim Smajli im Halbfinal mit 2:1 Richterstimmen ausgepunktet. Der Badener, der mit unnötigen Eskapaden und exzentrischen Allüren oft für Unmut sorgt, wurde nach dem Sieg vom Publikum ausgebuht. Im Final bewies er aber zwei Dinge: er kann boxen und er hat Nervenstärke. Er lieferte dem Titelverteidiger aus Gebenstorf ein Gefecht auf Biegen und Brechen. Maliqai, der sich in den letzten Jahren hervorragend entwickelt hat, bewies oft Mühe mit dem unberechenbaren, aber enorm reflexschnellen Badener. Hakobian kämpfte mit unerschütterlichen Selbstvertrauen auf Sieg. Kurz vor Ende der zweiten Runde schien es soweit: Mit einem Cut über dem rechten Auge wurde Maliqaj aus dem Kampf genommen. Hakobian glaubte wie viele im Publikum an den Sieg – aber leider kannten sie das Wettkampfreglement nicht. Paragraph 13 sagt klar folgendes: Wenn in einem Finalkampf wegen Verletzung abgebrochen werden muss, wird ab der 2. Runde derjenige Boxer zum Sieger erklärt, der bis zum Abbruch nach Punkten geführt hat Zum Zeitpunkt des Abbruchs führte Maliqaj auf den Score-Cards der Jury mit 2:1 Richterstimmen. Damit war das Verdikt klar: Sieger und Titelverteidiger Egzon Maliqaj, Gebenstorf.

Bereits zum 9. Mal begegneten sie sich im Ring: Anaîs Kistler (l.) und Caroline Dousse. Und zum 9. Mal besiegte Kistler ihre Kontrahentin klar nach Punkten

Frauen 64 kg: Caroline Dousse (BC Bulle) vs. Anaïs Kistler (Club Lausannois)

Gegen die Lausannerin anzukommen, ist im Moment schwer. Anaïs Kistler gehört zu den stärksten Boxerinnen der Schweiz. Das bewies die mehrfache Schweizermeisterin auch im Kampf gegen Caroline Dousse. Die Boxerin aus Bulle hatte im Halbfinal die Baslerin Barbara Wilhelmi ausgeschaltet und überzeugte auch im Final mit gutem Boxen. Der Kaltblütigkeit und den technischen Fähigkeiten der Schweizermeisterin war sie aber nicht gewachsen. Mit 3:0 Richterstimmen verteidigte Kistler den Titel und blieb Schweizermeisterin.

Auch dieser Kampf wurde mit höchster Intensität ausgetragen: Am Schluss hatte Vahram Khudeda, der normalerweise im Weltergewicht boxt, die Nase knapp vorn

Elite 75 kg: Angel Roque (BC Zürich) vs. Vahram Khudeda (NAB Frenkendorf)

Khudeda hatte im Halbfinal das hoffnungsvolle Nachwuchstalent Amir Orfia aus Lausanne mit einem schweren KO ausgeknockt. Trotzdem wurden ihm vor dem Final gegen den Shooting-Star aus Zürich höchstens Aussenseiterchancen eingeräumt. Es kam anders: in einem erstklassigen Fight dominierte Khudeda den zu selbstsicheren Zürcher und punktete mit präzisen und harten Treffern. Roque konnte seine aussergewöhnlichen Fähigkeiten nur sporadisch einsetzen und musste eine schmerzhafte Niederlage einstecken, an der es nichts zu rütteln gab. Vahram Khudeda wurde mit 3:0 Richterstimmen verdienter Schweizermeister.

Von der Affiche her ein Highlight erster Güte: Ukë "The Wolf" Smajli (l.) besiegte Davide Faraci knapp nach Punkten

Elite 81 kg: Uke Smajli (SR Zürich) vs. Davide Faraci (BR Baden)

Schon vor dem Final war klar, dass die Begegnung dieser Spitzenboxer zum Höhepunkt der Meisterschaften werden würde. So war es auch. Die beiden besten Boxer der Schweiz lieferten sich einen Kampf, der alle begeisterte. Faraci, der sich in der für ihn höheren Gewichtsklasse vielleicht noch besser zurecht finden muss, war genau so Favorit auf den Titel wie der beeindruckende Uke Smajli, der mit seiner Kampfkraft nur schwer zu besiegen ist. Nach drei begeisternden Runden, in denen nur wirkliche Experten das Verdikt genau einschätzen konnten, siegte Smajli mit 2:1 Richterstimmen. Seine grössere Explosivität und die ungestüme Kampfkraft waren für den knappen Entscheid wahrscheinlich ausschlaggebend. Die beiden Boxer haben mit ihren Qualitäten bewiesen, dass auch in der Schweiz auf Top-Niveau gekämpft werden kann.

Der Schweizermeister von 2012, Stefan Rumpold (l.), verlor gegen den Thuner Rrezoart Gashi knapp nach Punkten, obschon letzterer eine Verwarnung kassierte

Elite 91 kg: Stefan Rumpold (BC Brugg) vs. Rrezoart Gashi (BTO Thun)

Der Schweizermeister 2012 aus Brugg wurde vom aufstrebenden Thuner ab der ersten Runde hart gefordert. Gashi setzte voll auf Angriff und brachte Rumpold mit Tempo und harten Treffern aus dem Konzept, aber vorerst ohne ihn wirklich zu dominieren. Rumpold bewies im Gegenteil Übersicht und konnte zu Beginn der zweiten Runde den Kampf weitgehend bestimmen. Leider musste er kurz darauf nach einem präzisen Haken von Gashi angezählt werden. Damit war eine Vorentscheidung gefallen. Rumpold musste auch in der 3. Runde angezählt werden und konnte seine Qualitäten nicht mehr entfalten. Gashi überzeugte dagegen mit einer geschickten Kampfstrategie, rasantem Tempo und präzisen Treffern. Nach Kampfende war das Verdikt klar: Rrezoart Gashi wurde mit 2:1 Richterstimmen neuer Schweizermeister.

Das kontroverseste Urteil des Tages: Favorit Dzemaili (r.) musste gegen den Newcomer Ben Hamira Mehdi eine knappe Punkteniederlage einstecken

Elite + 91: Seid Dzemaili (BC Zürich) vs. Mehdi Ben Hamira (Club Lausannois)

Auf Grund einer unerklärlichen Passivität des Zürchers holte sich der Newcomer aus Lausanne den Titel mit 2:1 Richterstimmen. Dzemaili setzte praktisch nur seine Führhand ein – und auch diese nur zögerlich - , ohne den Gegner je mit der Schlaghand in Verlegenheit zu bringen. Dabei ist Ben Hamira noch kein kompletter Boxer, aber ein Mann mit guten Ansätzen, gutem Auge und enormem Punch. Natürlich kann in der höchsten Gewichtsklasse jeder Lucky-Punch fatal sein und ein richtiges Einschätzen dieses Risikos gehört zum Rüstzeug eines erfahrenen Boxers. Dzemaili hat aber eindeutig zu wenig gemacht und konnte seine unbestreitbaren Qualitäten nicht zur Geltung bringen.

Club Lausannois de Boxe: Mannschaftsmeister

Ein toller Erfolg für die Equipe rund um Fouad Ben Saoud. Die Mannschaft verdient ein grosses Kompliment: immer wieder bringt Saoud hoffnungsvolle Nachwuchstalente in den Ring. Diesmal konnten die Früchte geerntet werden. Bravo!

Kommentar: Die erfolgsverwöhnten Ostschweizer, Zürcher und Berner wurden nicht unbedingt zurückgebunden, aber die Titelausbeute in sehr guten Ausscheidungs- und Finalkämpfen zeigt, dass die Spitze breiter geworden ist. Das ist erfreulich und entspricht den Zielen des Verbandes unter der Leitung von Präsident Andreas Anderegg. Bedauerlich, dass neben viel Licht leider auch Schatten konstatiert werden mussten: wenn Silbermedaillengewinner ihre Auszeichnung demonstrativ wegwerfen oder wenn ein junger Zürcher Egomane flucht und tobt und angeblich sogar die Garderobe beschädigt, sind Trainer und Umfeld gefordert. Hier sind strenge Sanktionen  am Platz. Wer nicht verlieren kann, muss Konsequenzen tragen lernen. Absolut inakzeptabel ist auch, wenn ein junges Talent wie Orfia, der zudem im Urlaub aus dem Militärdienst antrat, nach mehrfachem Anzählen einen schweren KO hinnehmen muss. Es gibt keine Entschuldigung: der Trainer hätte das Handtuch werfen müssen! Wer den Ehrgeiz vor die Gesundheit der Athleten stellt, ist verantwortlich für das schlechte Image des Boxsportes.

Weitere Impressionen:

Medaillentisch mit Mannschaftsmeisterpokal
 
Ernest Monnier, 3-facher Schweizermeister der Jahre 1955, 1957 und 1958 im Super-Weltergewicht. Monnier spendete für jeden Finalsieger grosszügig 100 Franken (Foto Jack Schmidli)
 
Der frühere Nationatrainer André "Resu" Schenk mit Sport-Manager Federico Beresini (Foto Jack Schmidli)
 
Riesenfreude nach dem Gewinn des Mannschaftsmeisterpokals: Ben Fouad Saoud, Präsident und Cheftrainer beim Club lausannois de boxe

Rahmenkämpfe der Profis

Jamal Dlala (3-2-0) und Walid Abderrahmen (11-2-0)  kämpften sich erfolgreich zurück in den Ring. Beide hatten Ringpausen und gaben am Abend überzeugend ein gelungenes Comeback. Zwar verlor der 28-jährige Lausanner Dlala seinen Kampf gegen einen echten Gegner (Christian Segura, Dominikanische Republik) mit 56:58, 56:58; 57:57, aber der Einstand ist nach fast zweijähriger Ringpause geglückt. Erfreulich, dass auch der Genfer Abderrahmen gegen einen sehr guten Gegner (Emanuele Pinzi, Italien) nichts von seinen Qualitäten eingebüsst hat. Er schlug Pinzi in sechs Runden mit einem klaren Verdikt der Jury: 59:55; 59:55; 50:54. Zum Schluss auch hier ein Kompliment nach Lausanne: Es wurden gute Gegner und kein Fallobst verpflichtet.

Dlala (l.) startete gut in den Kampf, musste aber ab der 3. Runde die Überlegenheit seines Gegners anerkennen

 

Nach längerer Ringabstinenz zeigte Walid Abderrahmen gegen den Italiener Pinzi eine solide Leistung. Abderrahmen steigt am Boxing Day (26. Dezember) erneut in den Ring 


 

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