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10.12.2019 09:26 Uhr
Rod Ackermann, NZZ

Anthony Joshua ist Weltmeister der wichtigsten Boxverbände − zu mehr fehlt ihm eine Begabung

Ein «Box-Kampf des Jahrhunderts» war es nicht, eher einer zum Vergessen − wie die meisten Fights der schweren Männer. Was der Brite Anthony Joshua und der Kalifornier Andy Ruiz jr. in der kurz zuvor durch einen Gewittersturm heimgesuchten Freilicht-Arena eines Vororts der saudischen Hauptstadt Riad aufführten, glich vielmehr einem harmlosen Tänzchen. Genauer: einem Tanz um Dutzende von Dollarmillionen. Das bringt die Gemeinde der Boxfans abermals in Rage, obwohl auch und gerade ihr längst klargeworden sein sollte, dass es im Preisboxen in erster Linie um den Preis geht und erst dann ums Boxen. Über diesen Umstand hinweg hilft nicht einmal der grösste Hype, und daran  fehlte es auch diesmal nicht.

Anthony Joshua ist gesegnet mit der Physis eines Bodybuilders, und er wurde seit Jahren sorgsam aufgebaut durch Marketing-Spezialisten. Für sein Comeback hielt er die einzig richtige Strategie bereit, um den sechs Monate zuvor an seinen fettleibigen Gegner verlorenen Weltmeistergürtel wieder zurückzunehmen. Gemäss dem durch Muhammad Ali vorgemachten Grundsatz, zu schweben wie ein Schmetterling und zuzustechen wie eine Biene, blieb er zwölf Runden lang vornehmlich auf Distanz und sammelte mit seinem Jab fleissig Punkte, nach einstimmigem Urteil der Kampfrichter 118:110, 118:110 und 119:109. Demgegenüber hatte der viel kleinere und viel dickere Ruiz wenig zu bieten. 

Für den Briten von der edlen Gestalt hört der Vergleich mit «The Greatest» aber gleich auf, liess er doch jeden Ansatz zum Stechen schmerzlich vermissen – will heissen: den vom Publikum ersehnten K. o. Für den wuchtigen Niederschlag fehlt Joshua die Begabung, doch hat noch jeder Champion der Königsklasse ein solches Spektakel zünden müssen, wenn er in die an Figuren reiche Geschichte der sogenannten edlen Kunst der Selbstverteidigung eingehen wollte. Siehe Mike Tyson, dessen ungestümer Punch die halbe Welt faszinierte und der auch dreissig Jahre nach seinem Höhenflug manche Phantasien beflügelt.

Dass Joshua nun seine Titel – er wird durch drei der vier massgeblichen Weltverbände (WBA, WBO und IBF) als Weltmeister anerkannt – gegen allzu gefährliche Widersacher aufs Spiel setzt, werden seine berechnenden Hintermänner zu vermeiden wissen. Aus der sensationellen Niederlage gegen Ruiz im letzten Sommer in New York klug geworden und kraft der Weltmeisterwürde in der Lage, die nächsten Kontrahenten auswählen zu können, dürfte das «Team AJ» lukrative Vorstellungen folgen lassen, vorzugsweise in heimischen Gefilden. Dort ist ein Geldsegen garantiert, mit einem Homeboy als Affiche lässt sich ein Wembley-Stadion spielend füllen.

Den Unverbesserlichen im Lager der Fans bleibt inzwischen die Hoffnung auf den nächsten Titelkampf im Schwergewicht, diesmal nach Version des verbleibenden Weltverbandes WBC. Angesetzt ist die Revanche zwischen dem amerikanischen Champion Deontay Wilder und dessen britischem Herausforderer Tyson Fury auf den 22. Februar 2020, Schauplatz ist voraussichtlich Las Vegas, inzwischen Welthauptstadt des Box-Konkurrenzunternehmens namens MMA (Mixed Martial Arts). Deren erstes Duell hatte vor Jahresfrist mit einem für den Titelhalter schmeichelhaften Unentschieden geendet, jetzt dürfte der K.-o.-starke Wilder mit dem verrückten Fury abermals seine liebe Mühe haben. Das sind vielversprechende Aussichten, schmackhafter jedenfalls als jedes Kürlaufen mit Joshua.

Dass es dereinst jedoch wieder zu einem Fight um die unumstrittene, von allen Verbänden anerkannte Weltmeisterwürde kommt, dem ersten seit zwanzig Jahren, wird hingegen so lange ein Wunschtraum bleiben, als die auf finanzielle Beteiligung versessenen Herren Offiziellen das Sagen haben. Ihnen voran hat denn, ohne Zeit zu verlieren, der Präsident der WBO dalli, dalli seine Anwartschaft bekundet. Francisco Varcarcel aus Puerto Rico verwies auf Joshuas innert 180 Tagen zu erfolgende Pflicht zur Titelverteidigung gegen den Ukrainer Oleksander Usyk. Nie gehört? Kein Problem. Der bald 33-jährige Ex-Weltmeister im Cruisergewicht entspricht vorzüglich dem Profil eines Gegners für den Champion aus dem Mutterland des Preisboxens, wo schon im 18. Jahrhundert sich Rabauken zur allgemeinen Belustigung gegen Entgelt aufs Dach gaben.

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