Ukë

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10.06.2015 19:45 Uhr

Eine Faust geht nach Osten: Ukë Smajli kämpft für die Schweiz an den Europaspielen in Baku. Bild: Nicolas Y. Aebi

Bericht von: Sacha Beuth


 

09.06.2015 - Als 5-Jähriger floh er zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern von Kosovo nach Zürich. Nun nimmt Ukë Smajli (22) als einziger Schweizer Boxer an den Europaspielen teil.

Nach seiner herausragenden Eigenschaft befragt, muss Ukë Smajli nicht lange nachdenken. «Ich bin enorm ehrgeizig», antwortet der 22-jährige Schweiz-Kosovare. Der Ehrgeiz, gepaart mit kompetitiver Leidenschaft, hat den ehemaligen Flüchtling nicht nur durch die Schweizer Primarschule bis an die Volkswirtschaftsfakultät der Uni Zürich gebracht, sondern auch zum mehrfachen Schweizer Boxmeister im Halbschwergewicht. Nun hofft Ukë, dass ihm diese Eigenschaft bei den am 12. Juni beginnenden Europaspielen in der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku eine Medaille einbringt. Als einziger Schweizer Boxer hat er sich für die ­Veranstaltung qualifiziert.

Klitschko-Show war der Auslöser

Ukë (ausgesprochen: Uk) kommt am 2. Januar 1993 im kosovarischen Gjakova als ältestes Kind von Mehmet und Cyme zur Welt. Fünf Jahre später befindet sich seine Heimat im Kriegszustand, weshalb die Familie beschliesst, nach Zürich zu flüchten. Zusammen mit seinem Bruder Urim (heute 19) und seiner in der Schweiz geborenen Schwester Arta (16) wächst Ukë im Kreis 4 auf. Die Eingewöhnung fällt ihm nicht allzu schwer. Nur mit dem Schweizerdeutsch hat er anfangs seine Probleme. «Inzwischen spreche ich aber Deutsch und Dialekt besser als Albanisch», betont Ukë lächelnd. Schon von Kindesbeinen an betreibt er Sport. «Ich wollte mich immer mit anderen messen.» Ganz oben auf der Liste steht Fussball. Zum Boxen kommt er erst 2009 – und zwar wegen einer TV-Übertragung. «Mein bester Kumpel und ich sind beim Zappen zufällig bei einem Boxkampf von einem der Klitschko-Brüder stecken geblieben. Wir waren sofort fasziniert. Allerdings in erster Linie von der Inszenierung, wie die Athleten mit Musik einmarschiert sind und von der Menge bejubelt wurden. Das wollten wir auch erleben.» Umgehend meldet die Mutter von Ukës Kumpel die beiden beim Boxclub Zürich an. Doch die erste Übungslektion entspricht so gar nicht den Erwartungen der zwei. «Es wurde nur Kondi­tion trainiert. Wir aber wollten boxen.» So ver­suchen es die Freunde beim Boxclub Sporting Zürich. Und sind begeistert, wird ihnen doch vom ersten Tag an Boxtechnik beigebracht.

In der Ruhe liegt die Kraft

Für Ukë ist Boxen zu Beginn einfach Spass. Auch der Aufwand hält sich mit einem Training pro Woche in Grenzen. Schliesslich fordert ihn das Gymnasium inOerlikon, welches er inzwischen besucht, genug. Eines Tages sagt ihm Trainer Beda Mathis, dass er Talent habe und mal an einem Boxkampf teilnehmen solle. Ukë erhöht das Trainingspensum und erhält am 14. Februar 2010 in der Kaserne von Basel erstmals die Chance, sich zu beweisen. Mit Erfolg. Er gewinnt in der zweiten Runde durch Abbruch. «Normalerweise bin ich eher ein nervöser Typ. Doch vor dem Kampf war ich so ruhig, dass ich selber über mich erstaunt war. Das hat mir geholfen, auch einen physisch stärkeren Gegner zu bezwingen.» Der Sieg ändert sein Leben. Kaum hat er die Matura in der Tasche, konzentriert er sich aufs Boxen. Und schickt seine Gegner reihenweise zu Boden. In seiner Gewichtsklasse holt er 2010 und 2011 den nationalen Titel bei den Junioren, 2012, 2013 und 2014 bei der Elite. Weil er wegen seines Flüchtlingsstatus nur in der Schweiz boxen darf, kann er erst nach seiner Einbürgerung 2013 an Kämpfen im Ausland teilnehmen. Seinen ersten Auftritt hat er in Paris, wo er es bis ins Finale schafft, dort jedoch seinem französischen Widersacher unterliegt. «Die Niederlage hat mir sehr zu schaffen gemacht, weil die ­Wertungen der Punktrichter sehr fragwürdig waren», erzählt Ukë, und man spürt, dass er deswegen heute noch verärgert ist. Nichts­destotrotz braucht er seine bisherige Kampf­bilanz nicht zu verstecken: 73 Siegen und 2 Unentschieden stehen nur 9 Niederlagen ­gegenüber.

Den einen oder anderen mag erstaunen, dass man diese Sportart neben einem Volkswirtschaftsstudium betreiben kann. Für Ukë kein Widerspruch. «Einerseits brauche ich beides – das Intellektuelle und das Rohe. Andererseits werden die mentalen Anforderungen für unseren Sport gemeinhin unterschätzt. Boxen ist keine wilde Strassenschlägerei, sondern unterliegt Regeln und braucht ein Höchstmass an Konzentration und Adaption. Aber klar, ohne Kraft und Kondition kommt man nicht weit.» Um für Baku gewappnet zu sein, trainiert er 12-mal die Woche, jeweils morgens eine Stunde Lauf- und Techniktraining und abends nach der Uni zwei Stunden Kraft- und Partnerübungen. Die intensive Vorbereitung hat Auswirkungen auf sein Studium. «Ich habe es etwas zurückgeschraubt und werde darum wohl ein Jahr länger studieren als geplant.» In seiner raren Freizeit unternimmt er meist etwas mit ­seiner Freundin, besucht seine Eltern und ­Geschwister und lässt sich von seiner Mutter ­bekochen oder geht an der Limmat spazieren.

Dass er für das Boxen auf vieles verzichten und vieles opfern musste, hat der Liebe zu seinem Sport nichts anhaben können. Stolz und Freude erfüllen ihn, dass er die Schweiz in Baku repräsentieren darf. Und bereits jetzt hat er die WM und vor allem die Olympischen Spiele im Visier, an denen er unbedingt teilnehmen möchte. «Danach schauen wir mal.» Gut möglich also, dass er sein Studium noch etwas weiter «zurückschraubt».

Die Europaspiele in Baku dauern vom 12. bis 28. Juni 2015. 6000 Athleten des Kontinents messen sich in 20 Sportarten. Ukë Smajli hat seinen Erstrundenkampf am 16. Juni.

 

 

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