Haye vs. Gjergjaj: Schluss mit Nettigkeiten

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21.05.2016 14:03 Uhr

Wer hat mehr drauf heute Abend (22.45 Uhr, SRF  2) in der Londoner O2-Arena – David Haye oder Arnold Gjergjaj?

Von Andreas W. Schmid, Basler Zeitung, London 

Im O2-Entertainment-Komplex läuft eine Ausstellung, die Muhammad Ali gewidmet ist. Und so prangt in den Ausstellungsräumen überall sein Konterfei an den Wänden, untermalt mit der Bezeichnung, die er sich der Einfachheit halber gleich selber verpasste: GOAT – The Greatest Of All Time. In diesen Räumlichkeiten absolvieren Arnold Gjergjaj und David Haye an diesem Freitagnachmittag das traditionelle Wiegen, das zur Anheizung eines Boxkampfes einfach dazugehört. Bis auf die Unterhosen ausgezogen bringt Gjergjaj beeindruckende 107,5 Kilogramm auf die Waage, bei Haye sind es immerhin noch 101,6 Kilogramm. Der Engländer präsentiert einen muskelgestählten Body. «Meine Muskeln sieht man nicht so», sagt Gjergjaj später dazu, «dafür spürt man sie im Ring.»

Danach folgt das «Stare Down»; dabei stehen sich die Kontrahenten ganz nahe gegenüber und starren sich in die Augen. Man hat schon Boxer gesehen, deren Blicke dem anderen klarmachten: Ich kann dich nicht ausstehen und deshalb werde ich dich durch den Ring prügeln. Nicht so bei Gjergjaj und Haye. Ihr Gesichtsausdruck ist nichtssagend, vermutlich würden sie sich auch im normalen ­Alltag in einer gut gefüllten Strassenbahn so gegenüberstehen. Schon an den Pressekonferenzen ist den beiden kein böses Wort über die Lippen ge­kommen.

Hohe K.-o.-Quoten 

Man kann aber davon ausgehen, dass am Samstagabend in der O2-Arena vor vermutlich über 10 000 Zuschauern Schluss ist mit den Nettigkeiten, sobald der erste Gong ertönt. Auf zehn Runden ist der Kampf angesetzt, die hohen K.-o.-Quoten von David Haye – 86 Prozent seiner Siege hat er durch einen Knock-out errungen – sowie Arnold Gjergjaj (72 Prozent) machen es wahrscheinlich, dass der Fight nicht über die ganze Distanz geht.

Eine Prognose fällt trotzdem schwer. Zu viele Unwägbarkeiten sind im Spiel. Haye hat auf diesem Niveau schon mehr Kämpfe bestritten, er war Weltmeister im Cruiser-, aber auch im Schwergewicht. Er ist explosiv, sieht sofort die Lücke und nutzt einen Fehler seines Gegners gnadenlos aus. Aber: Es ist erst der zweite Kampf nach einer drei Jahre langen Verletzungspause. Nicht mehr viele hatten mit einer Rückkehr in den Ring gerechnet. Drei Kämpfe, wovon zwei gegen den heutigen Weltmeister Tyson Fury, hatte er verletzungsbedingt absagen müssen. Die Schulter war so verletzt, dass er nicht mal mehr die Autotür öffnen konnte. «Wie sollte ich da gegen die härtesten Boxer dieser Welt bestehen können?»

Doch dann folgte die fast wundersame Genesung. Und der Imagewandel. Früher hätte er irgendwelche Faxen gemacht beim Auge-in-Auge gegen Gjergjaj oder hätte gepöbelt. Heute legt er Wert darauf, anständig rüberzukommen. Wie sich Tyson Fury gegenwärtig aufführt, ist ihm ein Gräuel. «Ganz ehrlich», sagt er über seinen Landsmann, «welches Kind denkt schon: Ich möchte einmal so werden wie Fury?»

Da ist ihm ein überaus zuvorkommender Boxer wie Arnold Gjergjaj lieber. Wobei er sich täuschen könnte. Im Ring war der Prattler bis jetzt wenig zimperlich mit seinen Widersachern. Was, wenn er Haye mit seinem Dampfhammer trifft? Wenn die Schläge von Haye an ihm abprallen, der Brite den schnellen Knock-out nicht findet? Gegen Wladimir Klitschko zeigte sich mit fortnehmender Dauer, dass er keinen Plan B hat. Er enttäuschte als Underdog und war nachher von sich selber enttäuscht.

Nun ist Arnold Gjergjaj der klare Aussenseiter – trotzdem ist ihm einiges zuzutrauen. Gewinnt er, ist er noch nicht der Grösste (das ist wie gesagt jemand anderem vorbehalten). Aber etwas Grosses hat er dann mit Sicherheit vollbracht.

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