Ali und die Ostschweiz

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14.06.2016 14:49 Uhr

JULIA NEHMIZ/SEBASTIAN KELLER, Ostschweiz am Sonntag: 5. Juni 2016

Die Ostschweizer Boxszene trauert um Muhammad Ali. «Er gehört untrennbar zum Boxsport», sagt Andreas Anderegg. Er kenne keinen Boxer, der Ali nicht verehre. Der Thurgauer ist Präsident von Swiss Boxing, Verband des Schweizer Boxsports. Anderegg, der es in seiner aktiven Zeit zu fünf Schweizer-Meister-Titeln brachte, kam als Bub dank Muhammad Ali zum Boxen. «Nach seinem Kampf 1974 "Rumble in the Jungle" sind alle zum Boxen gerannt.» Anderegg wurde Profi und konnte bei Muhammad Alis Trainer Angelo Dundee Unterricht nehmen. Mit Dundee war er bis zu dessen Tod befreundet. Und über ihn hat er auch einmal sein Idol getroffen. Im Jahr 1994 warteten 2000 Fans am Flughafen von Miami Beach auf Ali, skandierten seinen Namen. Anderegg war mit Alis «sportlichem Vater» Dundee dort, und die Boxlegende kam tatsächlich zu ihnen. Anderegg konnte zwei, drei Worte mit ihm wechseln und ihm die Hand schütteln. «Ein einmaliger Moment.» Muhammad Ali sei heute noch eine Identifikationsfigur: «Fast kein Vereinslokal der 100 Schweizer Boxclubs, in dem nicht ein Bild von Ali hängt.»

Fernsehausnahmen wegen Ali

«Boxerisch war er ein Ausnahmetalent, er hatte aber auch einen starken Charakter», sagt Géraldine Brot. Sie präsidiert den kantonalen Box-Verband St. Gallen und den Boxclub St. Gallen, wo sie auch als Trainerin aktiv ist. «Ich bin schon erschrocken, als ich von Alis Tod gelesen habe.» Ihr Eindruck von ihm war, dass er einer war, der «sein Ding durchgezogen hat». Als sie vom Tod erfuhr, kamen ihr augenblicklich wieder Bilder aus der Kindheit in den Sinn – bewegte Bilder aus dem Fernsehen. Sie durften nachts aufstehen, um Alis Kämpfe am Fernsehen mitzuverfolgen. Diese nächtlichen Fernsehausnahmen hatte sie auch ihrem Vater zu verdanken: der fast 90jährigen St. Galler Boxlegende Hugo Brot. Er bestritt in seiner Amateurkarriere über 400 Kämpfe in ganz Europa. «Mein Vater fand Ali einen grossartigen Boxer», sagt Géraldine Brot. Muhammad Ali sei auch heute als Vorbild – neben anderen Boxlegenden – präsent. «Wenn jemand einen Boxer auf dem T-Shirt hat, dann ist das Muhammad Ali.»

«The Greatest» und die St. Galler Bratwurst

Geoffrey Delmores Stimme klingt matt. Der Frauenfelder Krebsspezialist ist in Chicago an einem Kongress. Und hat frühmorgens schon von Alis Tod gehört. «Ich bin sehr traurig», sagt Delmore, der seit Jahren als Ringarzt und Verbandsarzt für Swiss Boxing tätig ist. Er hat alle Kämpfe von Ali gesehen. Mitten in der Nacht, die krisseligen Fernsehbilder in Schwarz-Weiss. «Er war damals für mich als junger Boxer ein Vorbild.» Alis boxerische Intelligenz und Schnelligkeit beeindruckten eine ganze Generation Boxbegeisterter. Ob seine Erkrankung tatsächlich mit dem Boxen in Zusammenhang gestanden habe, werde wohl nie eindeutig geklärt, sagt Delmore: «Als langjähriger Ringarzt habe ich viele kampfbedingte neurologische Störungen gesehen. Nicht alle waren letztlich assoziiert mit dem Boxen.» Boxer würden während ihrer Aktivzeit sorgfältig ärztlich überwacht, was bei vielen anderen Sportarten mit Gesundheitsrisiken nicht der Fall sei.

Auch der St. Galler und ehemalige Boxer Daniel Gemperli verehrt Muhammad Ali. «Er war als Sportler und als Person einmalig. Er hat nie aufgegeben.» Gemperli reiste mit seinem Vater zu Kämpfen von Ali, sah ihn live in New York, Zürich und München. Vor allem der Kampf gegen Frazier beeindruckte ihn: Im Madison Square Garden sah Gemperli sein Idol vor der Kabine und an der Party. «Ali hatte eine unglaubliche Ausstrahlung. Er kam rein, und der ganze Raum stand für ein paar Sekunden still.» Aber Ali hatte auch auf das Privatleben der Gemperlis Einfluss: «Wir sahen damals in New York, wie Essen auf der Strasse verkauft wurde. Als wir zurück in St. Gallen waren, öffneten wir das Fenster unserer Metzgerei und verkauften die Bratwürste über die Gasse.»

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