Schweizermeisterschaften Elite 2016. Der Bericht

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29.11.2016 15:07 Uhr

Ueli E. Adam (Bericht und Fotos), 29.11.2016

Die Schweizermeisterschaften im olympischen Boxen sind jedes Jahr der wichtigste Anlass auf der schweizerischen Box-Agenda. In Martigny sorgte die Crew des Boxing Club Martigny um Präsident Domenico Savoye für eine mustergültige Organisation der Halbfinals und Finals.

Im Vorfeld der Meisterschaften fiel auf, dass die Anmeldungen (Männer) zu den Titelkämpfen eher rückläufig waren. Mit 26 Einschreibungen sorgten dafür die Frauen für einen neuen Rekord. Es waren schliesslich auch die Frauen, die im Kampf um den Titel des Mannschaftsmeisters ein historisches Glanzlicht setzten: das Frauenboxteam Basel holte bravourös den Titel. Erfreulich war die Qualität der Wettkämpfe: Finalistinnen und Finalisten überzeugten mit guten Leistungen.

Stehend v.l.n.r.: SwissBoxing-Präsident Andreas Anderegg, Benjamin Claude, Egzon Maliqaj, Mehdi Ben Hamira, Anaïs Kistler, Ukë "The Wolf" Smajli, Tina Asmussen und Sandra Brügger. Kniend v.l.n.r.: Benoit Huber, Nadia Barrigia, Horia Trif und Sarah-Joy Rae

Die 12 Titelkämpfe im Kurzbericht

Elite F 51 kg: Nadia Barriga, Jg. 1985, BT Basel vs. Katharina Rammelt, Jg. 1983, BC Bern
Die Bernerin (3 Kämpfe, 1-2, rechts im Bild) lieferte der bolivianischen Meisterin von 2011 (37 Kämpfe in der Schweiz, 19-15-3) einen beherzten Kampf. Punch, Klasse und Erfahrung gaben nach einem guten Fight den Ausschlag: Nadia Barriga holte sich mit 3:0 Richterstimmen den Titel.


Elite H 60 kg: Julien Calvete, Jg. 1991, BC Nyon vs. Tiago Pugno, Jg. 1992, BC Riazzino
Auf diesen  Klasse-Kampf wartete das Publikum vergebens. Calvete, Schweizermeister des Vorjahres, der am Vortag Julien Ballifard mit einem TKO ausgeschaltet hatte, brachte angeblich auf der Waage nicht das korrekte Kampfgericht und konnte deshalb seinen Titel nicht verteidigen. Damit holte sich das Talent aus dem Tessin mit einem WO-Entscheid den Titel. Neuer Schweizermeister: Tiago Pugno.

Elite F 54 kg: Emma Payne, Jg. 1983, BR Zürichsee vs. Sarah-Joy Rae, Jg. 1982, BT Basel
Die Vorjahresmeisterin aus Basel (rechts im Bild) hatte mit der angriffigen Zürcherin (14 Kämpfe, 8-5-1) mehr Mühe als erwartet. Sarah-Joy Rae (37 Kämpfe 19-18-0), die den Titel 2012 und 2015 bereits zweimal geholt hatte, fand in den ersten Runden das richtige Rezept nicht sofort. Ab Mitte des Kampfes brachte sie aber mehrere präzise Treffer ins Ziel und holte sich den Titel mit 1:2 Richterstimmen.

Elite H 64 kg: Horia Trif, Jg. 1997, BC Zürich vs. Florin Bistrian, Jg. 1990, CL Lausanne
Einen spektakulären Kampf lieferten sich das Jungtalent aus Zürich (46 Kämpfe, 33-12-1, rechts im Bild) gegen den zum Siegen entschlossenen Waadtländer. Der Lausanner (28 Kämpfe, 17-11-0) war von seinem Trainer Fuad Ben Saud optimal auf den Kampf vorbereitet worden und dominierte die erste Runde klar. Der als Favorit gestartete Trif schien den Kampf aus der Hand zu geben, aber dank seiner Klasse gelang es ihm, das Verdikt zu wenden. Während Bistrian ab der zweiten Runde unkonzentrierter wurde, setzte Trif die besseren Treffer. Mit einem 2:1 der Richterstimmen holte Trif den Titel.

Elite F 57 kg: Tina Asmussen, Jg. 1981, BT Basel vs. Nicole von Känel, Jg. 1978, BTO Thun
Der Kampf der beiden Meisterinnen war mit Spannung erwartet worden. Die erfahrene Baslerin (30 Kämpfe, 20-9-1, links im Bild) kam nach einer Ringpause hochmotiviert zurück und konnte mit einem starken Kampf den zweiten Titel nach 2014 holen. Nicole von Känel (32 Kämpfe, 16-14-2) blieb nicht immer auf ihrer normalerweise sehr guten Line und verpasste deshalb mit einem Verdikt von 2:0 Richterstimmen (2 Richter für Asmussen, 1 Richter Unentschieden) einen erneuten Titelgewinn.

Elite H 69 kg: Egzon Maliqaj, Jg. 1991, BS Gebenstorf vs. Yves Kusongi, Jg. 1993, CP Carouge
In einem der besten Fights des Tages holte sich der Gebenstorfer (Schweizermeister 2013 und 2014, rechts im Bild) mit 3:0 Richterstimmen den Titel. Maliqaj (95 Kämpfe, 66-28-1) beeindruckte gegen den sehr starken Genfer (11 Kämpfe, 9-2) mit einem variablen Schlagrepertoire, das man heute leider nur noch selten sieht. Erstklassige Esquive-Meidbewegungen, Kopf- und Körpertreffer und unberechenbare Schlagvarianten haben ihm den verdienten Sieg gebracht.

Elite F 60 kg: Stefanie Hungerbühler, Jg. 88, RB Basel vs. Sandra Brügger, Jg. 81, BT Basel
Es ist nicht leicht, gegen die seit Jahren beste Boxerin der Schweiz anzutreten. Sandra Brügger (links im Bild), mit dem einmaligen Palmarès von 96 Kämpfen in der Schweiz (77-17-2) ist für jede Newcomerin eine grosse Herausforderung. Stefanie Hungerbühler (6 Kämpfe, 5-1-0)  hat aber für ihren Club (Riverside Boxing Basel) mit viel Einsatz bemerkenswert geboxt. Sandra Brügger hat sich nach 2006, 2007, 2010, 2011 und 2013 einen weiteren Titel mit einem klaren 3:0 bravourös erkämpft. Wenn sie an allen Titelkämpfen seit 2006 teilgenommen hätte, wären es wahrscheinlich noch mehr Titel geworden.

Elite H 75 kg: Amir Orfia, Jg. 1994, CL Lausanne vs. Benjamin Claude, Jg. 1991, BC Versoix
Mit klaren Titelaspirationen stieg der Lausanner (56 Kämpfe, 35-20-1, rechts im Bild) in den Ring. In einem erstklassigen Kampf zeigte ihm aber ein Mann mit grossem Potenzial, wo der Hammer hängt. Benjamin Claude aus Versoix (15 Kämpfe 11-4-0) vereitelte die Ambitionen von Orfia mit harten und präzisen Kontern. Der Lausanner, der die taktischen Vorgaben seines Trainers Fouad Ben Saoud nach der ersten Runde nicht mehr umsetzen konnte, verlor den Kampf schliesslich mit 1:2 Richterstimmen. Der neue Schweizermeister Claude ist ein Mann, den man im Auge behalten muss. Fazit: ein sehenswerter Kampf und ein klassisches Lehrstück über die Unwägbarkeit des Boxens.

Elite F 64 kg: Barbara Wilhelmi, Jg. 1982, BT Basel vs. Anaïs Kistler, Jg. 1989, CL Lausanne
Die Baslerin (23 Kämpfe, 9-13-1, rechts im Bild) hat die sieggewohnte Schweizermeisterin 2012, 2013, 2014, 2015 im Kampf um den Titel zeitweise echt gefordert. Jedenfalls darf festgehalten werden, dass die aggressive Lausannerin (66 Kämpfe, 49-15-2) den Titel nicht im Schongang abholen konnte. Das Verdikt der Punktrichter war dennoch klar: Kistler siegt mit 3:0 Richterstimmen.

Elite H 81 kg: Manol Marashi, Jg. 1991, BC Sissach vs. Ukë Smajli, Jg. 1993, SR Zürich
Manol Marashi (6 Kämpfe, 4-2-0, links im Bild) bewies gegen den besten Boxer der Schweiz viel Herz. Obschon in Grösse und Reichweite klar unterlegen, stellte er sich dem Favoriten zu einem harten Kampf. Es gelang ihm sogar, die voraussehbare Unterlegenheit mit furchtlosem Einsatz teilweise zu kompensieren. Ukë "The Wolf" Smajli (109 Kämpfe, 88-19-2) ist es hoch anzurechnen, dass er – wie immer – keine Arroganz erkennen liess und den Sissacher mit einem Kampf ehrte, der spannend blieb und zu gefallen wusste. Das Schicksal ereilte Marashi in der dritten Runde: mit einem TKO musste er aus dem Kampf genommen werden. Der Titel blieb damit in den Händen des Ausnahmekönners aus Zürich: nach 2012, 2013, 2014 und 2015 holte er sich erneut den Titel. Die Schweiz darf stolz auf diesen Kämpfer sein, der dem Publikum bestes Boxen bietet.

Elite H 91 kg: Enis Amiti, Jg. 1991, BC Zürich vs. Benoït Huber, Jg. 1986, BC d’Octodure
Die Rückkehr von Benoït Huber (rechts im Bild) in den Ring sorgte für Aufsehen. Der Mann aus Martigny mit der schillernden Persönlichkeit (21 Kämpfe, 17-3-1) ist ein Garant für spektakuläre Kämpfe. Sein Comeback wurde zum Triumph. Enis Amiti (31 Kämpfe, 24-7-0) aus Zürich, der im Halbfinal den früheren Meister Stefan Rumpold mit einem KO-Sieg eliminiert hatte, schien auch gegen Huber zunächst gute Karten zu haben. Im Laufe des Kampfes dominierte der Walliser aber den Kampf zusehends mit schnellen und präzisen Händen. Die Schlaghärte dieser punktgenauen Treffer wurde Amiti schliesslich zum Verhängnis. Mit einem unglaublichen Punch schickte Huber den Zürcher mit einem KO auf die Bretter. Nach seinen Titeln 2008 und 2010 holte sich Huber seinen dritten Meistergürtel.

Elite H 91+ kg: Hansen Ewene, Jg. 90, BC W’thur vs. Mehdi Ben Hamira, Jg. 92, CL Lausanne
Zwei Boxer mit relativ wenig Kämpfen zeigten Schwergewichtsboxen, das sich sehen lassen darf. Ewene aus Winterthur (20 Kämpfe, 13-7-0) und Hamira aus Lausanne (10 Kämpfe, 8-2-0) verblüfften mit einem Kampf, der Perspektiven zulässt. Beide Boxer haben Talent, Schlagkraft und boxen mit einer für Schwergewichtler bemerkenswerten Leichtfüssigkeit. Hamira war davon überzeugt, dieses Jahr endlich den Titel holen zu können. Das ist ihm in einem guten Fight mit 3:0 Richterstimmen auch gelungen, aber Ewene wusste seinerseits mit Schlagfrequenz und Puncherqualitäten zu beeindrucken. Beide Boxer sind für das Superschwergewicht ein echter Gewinn. Auf ihre Karrieren darf man sich freuen.

SwissBoxing-Präsident Andreas Anderegg, der nach dem Final die Titelträger und die Mannschaftsmeisterinnen mit einer kleinen Zeremonie im Ring ehrte,  zieht folgende Bilanz: Ausbildung, Weiterbildung, Athletik und praktisches Können entwickeln sich positiv. Die Förderung des olympischen Boxens ist aber eine Kernaufgabe, die uns weiter beschäftigen wird. Mit einem Konzept der TK wird dieses Ziel im nächsten Jahr klar umrissen. Trotz kleinerer Unzulänglichkeiten im verbandsinternen Ablauf dürfen die Schweizermeisterschaften als sehr gut bewertet werden. Fabian Guggenheim war es schliesslich, der die verdienteste Boxerin der Schweiz mit einem Blumenstrauss ehrte. Sandra Brügger, die Ende Jahr ihren Rücktritt vom aktiven Sport bekannt gibt, hat diese Ehre hoch verdient. Wir gratulieren!

Sandra Brügger mit Fabian Guggenheim Organisator Domenico Savoye

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