Studer verteidigt den Titel im Mittelgewicht

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28.12.2009 08:22 Uhr

Bericht von Ueli E. Adam

EBU-EE-EU-Titelkämpfe in Bern:
Studer verteidigt den Titel im Mittelgewicht, Belkacem scheitert im Halbschwergewicht

27.12.2009 - Über 1500 Zuschauer erlebten in dem seit Tagen ausverkauften Kursaal Bern die ganze Dramatik des Berufsboxens. Glanz und Elend sorgten für grosse Emotionen und die Boxing Kings haben bewiesen, dass auch schweizerische Veranstalter in der Lage sind, einen Grossanlass zu organisieren, der keine Wünsche offen lässt.

Promoter Daniel Hartmann hat viel investiert und mit sieben Profikämpfen auf der Affiche dafür gesorgt, dass das Meeting am traditionellen Boxing Day keinen internationalen Vergleich zu scheuen braucht.

 

Die Titelkämpfe

Was sich relativ kompliziert anhört, muss nicht unbedingt für Zweitklassigkeit stehen. Die nicht der EU angeschlossenen Europäer tragen Titelkämpfe aus, die zwar noch nicht den Stellenwert einer EBU-Meisterschaft besitzen, aber nicht zu unterschätzen sind, da gerade aus Osteuropa ein grosses Potenzial von hungrigen Kämpfern nach Westen strebt. Bei seiner zweiten Titelverteidigung akzeptierte Yves Studer mit Andrey Salakhutzinau einen Gegner, der zwar weder vom Ranking (Nr. 11) noch vom Palmarès (9-1-0) her zu der absoluten Spitze zählt, aber als Amateur mit über 150 Kämpfen eine nicht zu unterschätzende Erfahrung mitbrachte. Schwieriger schien das Los von Mohamed Belkacem, der als Herausforderer gegen einen Titelträger mit hervorragenden Referenzen antreten musste: Mahamed Aripgadzhiev, Vizeweltmeister der Amateure 2003 und Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 2004, hat als Profi mit einer hohen KO-Quote seine Gefährlichkeit eindrücklich unter Beweis gestellt.  


Yves Studer (r.) und Andrey Salakhutzinau im Infight

Mittelgewicht: Yves Studer (Schweiz) vs. Andrey Salakhutzinau (Weissrussland)

 

Der Schweizer startete wie gewohnt konzentriert, aber von Beginn weg mit dem klaren Ziel, dem Gegner keine Chance zu lassen. Die ersten vier Runden gingen an den Berner, obschon das die internationalen Punktrichter (39:37) nicht so eindeutig sahen. In der fünften Runde versuchte Salakhutzinau erstmals, Studer unter Druck zu setzen, was ihm mit dem Rundengewinn auch gelang. Die folgenden Runden gingen aber wieder mehrheitlich an Studer, ohne dass der Herausforderer einen inferioren Eindruck hinterliess. Im Gegenteil: auch er brachte Doubletten ins Ziel, die einen schwächeren Mann als Studer sicher in Bedrängnis gebracht hätten. Yves Studer zeigte jedenfalls mit überzeugendem Boxen, dass er seinen Stil gefunden hat: mit ständigen Angriffen setzt er jeden Gegner früher oder später unter Druck und die Fans erwarten von ihm so etwas wie die legendäre YB-Viertelstunde.

Im letzten Kampfdrittel kann der Berner Reserven mobilisieren, die für konditionsschwächere Gegner zum Waterloo werden können. Salakhutzinau, der noch nie über 12 Runden gegangen ist, zog sich aber geschickt aus der Affäre.

Fazit: Auch ohne fulminantes Schlussfeuer hat Studer den Titel souverän verteidigt. Von seiner Ecke (Bruno Arati, Giuseppe Orlando, Benjamin Huber) gut betreut, war er dank den klaren taktischen Anweisungen seines Trainers Arati nie in Gefahr, die Uebersicht zu verlieren.

So werteten die Punktrichter:

Jean Louis Legland (F) 118:112; Alfredo Garcia Perez (SP) 117:111; Jürgen Langos (D) 116: 112) 



Mahamed "Mahamed Ali" Aripgadzhiev nach seiner erfolgreichen Titelverteidigung mit seinem Team

Halbschwer: Mohamed Belkacem (Schweiz) vs. Mahamed Aripgadzhiev (Weissrussland)

In der nüchternen Sprache der Sportjournalisten hat der Herausforderer aus Bern den Kampf um den Titel im Halbschwergewicht durch KO in der 10. Runde verloren. Dass sich hinter diesem Satz eine klassische Tragödie im Stil der griechischen Antike verbirgt, haben nur die Zuschauer im Saal erschüttert mitbekommen. Einmal mehr hat sich gezeigt, wie unwägbar Boxen sein kann. Zwar spürten die Experten am Ring von Beginn weg, dass von dem Weissrussen Gefahr ausgeht. In den beiden ersten Runden die Ringmitte beherrschend, machte Aripgadzhiev klar, dass es eine schwere Aufgabe sein würde, ihm den Titel zu entreissen. Umsomehr begeisterte Belkacem in der Folge mit schnellem und dynamischem Boxen das Berner Publikum.

Schon bald war der Titelverteidiger mit mehreren Cuts schwer gezeichnet, die zwar nicht alle auf direkte Schlagwirkung, sondern vielleicht auch durch unabsichtliche Kopfstösse des Herausforderers zurückzuführen waren. Belkacem setzte den erst 24-jährigen Titelverteidiger unter Druck und in der Mitte des Kampfes verlor dieser zusehends die Uebersicht. Nach der neunten Runde lag der Berner in der persönlichen Wertung des Berichterstatters mit 86:85 Punkten vorne und der Titel für Belkacem schien bereits in Griffweite. Da passierte es: in der 10. Runde wurden die Ambitionen des von den Boxing Kings sorgfältig aufgebauten Herausforderers brutal zerstört. Mit einer verheerenden Rechten schickte Aripgadzhiev den unglücklichen Belkacem über die Zeit auf die Bretter. Noch lange nach dem Aus lag der Herausforderer zwischen den Seilen und erholte sich nur schwer von dem fürchterlichen Niederschlag. Beeindruckend aber auch die Reaktion des erfolgreichen Titelverteidigers: anstatt zu jubeln, kümmerte er sich rührend um den unglücklichen Herausforderer, dessen Träume in einem Sekundenbruchteil der Unaufmerksamkeit geplatzt waren. Das traurige Verdikt liess keinen kalt: KO in der 10. Runde.


Roberto Belge (r.) gelang gegen Siarhey Navarka ein ungefährdeter Sieg

Welter: Roberto Belge (Schweiz) vs. Siarhey Navarka (Weissrussland)

Der Tessiner aus dem Stall von Michele Barra, seit 2007 WM-Titelträger nach Version IBC, in 22 Kämpfen ungeschlagen, war lange verletzt und versuchte in einem über sechs Runden angesetzten Aufbaukampf wieder Tritt zu fassen. Das ist ihm zwar mit einem klaren Punktsieg gegen den Weissrussen Navarka überzeugend, wenn auch glanzlos gelungen. Obschon dem genauen Beobachter die Fähigkeiten von Belge nicht verborgen blieben, war der 29-jährige Journeyman aus Weissrussland (7-24-0) kein wirklicher Gradmesser.

So werteten die Punktrichter:

Domenico Gottardi 60-54; Thomas Zimmermann 60:54, Armin Bracher 60:55


Besiegte in seinem 2. Profikampf den Weissrussen Sushchyts (l.): Istvan Szili (Boxing Kings)

Mittel: Istvan Szili (Boxing Kings, Ungarn) vs. Aliaksandr Sushchyts (Weissrussland)

Für Aufsehen sorgte ein neuer Mann im Stall der Boxing Kings. Istvan Szili ist ein Name, den man sich merken muss. Der 27-jährige ungarische Meister, 2-facher EU-Champion und in 201 Amateurkämpfen 165-mal siegreich, trat an seinem Geburtstag (26. 12.1982) in Bern zu seinem zweiten Profikampf gegen den erst 21-jährigen Weissrussen Sushchyts an, der ebenfalls erst seinen zweiten Kampf als Berufsboxer bestritt. Szili siegte mit 3:0 Richterstimmen ganz klar, aber das wirklich Interessante an diesem Sieg war die Tatsache, dass er diesen gegen einen erstklassigen Mann erringen konnte. Dem Weissrussen fehlte vielleicht noch die Physis und die Erfahrung, um gegen einen Mann wie Szili bestehen zu können. Aliaksandr Sushchyts liess aber Fähigkeiten aufblitzen, die auch in ihm ein zukünftiges Talent erkennen lassen. Szili ist ein kompletter Boxer mit beeindruckender Kampfkraft und viel Punch. Auf seine nächsten Kämpfe darf man sich freuen!

So werteten die Punktrichter:

Domenico Gottardi 59:55; Thomas Zimmermann 58:56; Armin Bracher 59:55


Freut sich mit Trainer-Legende Bruno Arati über seinen K.o.-Sieg: Nasi Hani

Cruiser: Nasi Hani (Boxing Kings, Mazedonien) vs. Daniil Prakapsou (Weissrussland)

Nasi Hani, ein weiterer Hoffnungsträger der Boxing Kings, konnte gegen Daniil Prakapsou nicht restlos überzeugen. Der tapsige Bär aus Weissrussland (4-17-0) war kein würdiger Gegner. Zwar muss eingeräumt werden, dass der Weissrusse nicht leicht zu boxen ist, aber ein Puncher wie Hani muss mit einem derart inferioren Mann schneller fertigwerden. Nach zähen drei Runden war es in der vierten Runde soweit: Hani, in allen Runden überlegen, siegte durch TKO.


Hatte am Boxing Day nicht ihren besten Tag: Nicole Boss (l.)

Die Profikämpfe der Frauen:

Es ist den Boxing Kings hoch anzurechnen, dass bei einem derart wichtigen Ereignis auch die Profiboxerinnen zum Einsatz kommen. Mit guten Kämpfen liessen sie keine Langeweile aufkommen und bewiesen, dass sich das Frauenboxen zu Recht etablieren konnte.

Anija Seki (Schweiz) besiegte im Federgewicht Elena Miftode (Rumänien) in einem animierten und spannenden Gefecht über sechs Runden klar nach Punkten (59:55; 59:55; 59:56).

Weniger gut lief es im Leichtgewicht der im EBU-Ranking als Nr. 5 geführten Nicole Boss. Sie traf auf eine Gegnerin, die ihr von Beginn weg nicht zu liegen schien. Floarea Lihet aus Rumänien, eine kleine, bullige Puncherin, setzte sie in dem ebenfalls auf sechs Runden angesetzten Kampf von Beginn weg unter Druck. Nicole Boss konterte die wilden Attacken der Rumänin immer etwas zu spät und gab den Kampf mehr taktisch als technisch aus der Hand. Beeindruckend aber, wie die ehrgeizige Bernerin die Niederlage weggesteckt hat: keinesfalls geknickt, sondern mit der Erkenntnis, dass nach 3 überzeugenden Siegen aus dieser Niederlage wertvolle Erfahrungen für die Zukunft gesammelt werden können. Floarea Lihet siegte mit 3:0 Richterstimmen (54:60; 59:55; 54:60).


Machte mit seinem Gegner kurzen Prozess: Alain Chervet

Die Kämpfe der Amateure: absolut erfreulich!

Vor der beeindruckenden Kulisse zeigte Lokalmatador Alain Chervet, dass Familientradition kein leeres Wort ist. Der Schweizermeister im Leichtgewicht machte mit Daniel Egbide kurzen Prozess. Bereits in der zweiten Runde warfen die Betreuer des jungen Genfers das Handtuch und das begeisterte Publikum feierte den Hoffnungsträger der Kings mit frenetischem Applaus. Den aufmerksamen Verwandten wird aber etwas anderes besser gefallen haben. Vater Walter und der legendäre Fritz Chervet sahen boxerische Qualitäten und den sprichwörtlichen Chervet-Kampfgeist: ein echtes Versprechen für die Zukunft!

Die elegante Olivia Boudouma (Boxing Kings) wird mit jedem Kampf besser. Sie hielt im Leichtgewicht die wild angreifende Fribourgerin Caroline Dousse sicher in Schach und siegte klar mit 3:0 Richterstimmen. Nicht ganz so gut lief es Steve Castella (Boxing Kings). Er verlor seinen Kampf gegen den amtierenden Schweizermeister Alis Sijaric (BC March) trotz seinem unbestreitbaren Talent zu leichtfertig. Sijaric machte den Kampf und der Spätstarter Castella hatte das Nachsehen. Trotzdem darf auch mit ihm in Zukunft gerechnet werden. Castella hat Talent und wird sich mit Sicherheit weiter zu entwickeln wissen. 
 


Berichterstatter Ueli E. Adam (l.) mit Andy Anderegg und Promoter Daniel Hartmann 

Vater Franz Studer mit Pascal Stalder und Fitnessboxerin Nicole

Am Rande notiert: Promidichte lokal, aber hoch, die Boxfamilie vollzählig versammelt. Zwei Präsidenten gaben sich die Hand: Stadtpräsident Alexander Tschäppät, dem hoch anzurechnen ist, mit welcher Begeisterung er den Boxsport in Bern mitträgt und Andreas Anderegg, Präsident SwissBoxing, der mit einer sympathischen Geste im Ring Daniel Hartmann für seine Verdienste nach einer Laudatio auszeichnete.

Dick unterstrichen darf auch etwas werden, was selbstverständlich sein sollte, aber nicht selbstverständlich ist. Das Boxen, lange als Stiefkind des Sportes diskriminiert, findet auch in den Medien endlich die Beachtung, die es verdient. Die nationale Presse war vollständig vertreten und TeleBärn hat den Hauptkampf, der auch auf Star TV ausgestrahlt wird, einmal mehr in ganzer Länge aufgezeichnet. Vielleicht erwacht nächstens auch Leutschenbach aus dem Dornröschenschlaf!

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