DAS AUSFÜHRLICHE INTERVIEW. Heute mit Ukë «The Wolf» Smajli

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20.03.2019 20:08 Uhr

18.03.2019 – swissboxing.ch interviewt in loser Folge Schweizer Boxer*, die hierzulande und im Ausland in den Ring steigen. Ziel ist es, die Athleten* dem Publikum besser bekannt zu machen.

Jack Schmidli, Webpublisher

Mein heutiger Gesprächspartner ist wohl einer der extrovertiertesten und allerbesten Schweizer Boxer der Gegenwart. Nach zweijähriger Absenz vom Spitzensport meldet sich "The Wolf" (aka „smajlipower", wie er sich auf sozialen Medien nennt) wieder mit einer Spitzenleistung (Gewinn der Bronzemedaille beim hochklassigen Strandja-Turnier in Bulgarien) auf dem Internationalen Parkett zurück. Der siebenfache Schweizer Meister, der dieses Jahr den Master in VWL an der Universität Zürich abschliessen wird, hat die Qualifikation für Rio 2016 zwar verpasst, glaubt aber weiterhin an sein Potential. Smajli ist für die Qualifikation zu den Olympischen Sommerspiele in Tokio 2020 wieder ins Swiss Boxing Team zurückgekehrt. 



Ukë, was macht Boxen zur idealen Wahl als Sportart für dich?

Ich wollte eigentlich als Kind immer Profi-Fußballer werden. Mein Vater meldete mich aber nie  bei einem guten Club an, also ging ich zu schlechten Vereinen, weil da meine Schulkameraden waren. Boxer wollte ich nie werden. Aber im Nachhinein bin ich glücklich über meine Wahl, egal wie erfolgreich Fussballer finanziell sind. Boxen ist die ideale Wahl für Leute, die ihr Potential nicht kennen, die Herausforderung suchen und bereit sind, Opfer zu bringen. Man geht schnell unter oder blüht auf in diesem Sport. Ich konnte alle meine Charaktereigenschaften zu meinem Vorteil nutzen. Nach knapp 120 Kämpfen habe ich oft mit Ängsten gerungen, habe oft gezweifelt und dann triumphiert, weshalb ich heute viel selbstbewusster auftreten kann. Rein motorisch ist boxen eine ideale Wahl. Man muss den Körper synchronisieren und gleichzeitig entkoppeln können, um gleichzeitig zu schlagen und zu laufen. Und dass man dies unter ständigem Druck machen muss, schärft das Boxen die Sinne ungemein.

Welches Ziel verfolgst du als Olympischer Boxer?

Mein Ziel ist die Olympiaqualifikation bei den Tokio Spielen. Noch nie hat sich ein Schweizer Boxer für Olympia qualifiziert. In Tokyo (Ruedi Meier) und München (Ruedi Vogel) waren zwar Schweizer dabei, aber damals war keine Quali nötig. Diese Motivation hält mich noch beim Boxen.

Du hast dich nach einer Zwangspause von 18 Monaten und einer Absenz von der internationalen Bühne von anderthalb Jahren mit dem Meistertitel in der Schweiz und einer Bronze Medaille am Strandja Cup zurückgemeldet. Wie hast du das geschafft?

Ehrlich gesagt hatte ich anfangs mit dem Boxen abgeschlossen. Ich habe mich anderen Bereichen zugewandt und dort Erfolg gesucht. Als Ausgleich zum deutlich gestiegenen Umfang in Studium und einem neuen Job joggte ich und fiel dabei oft ins Schattenboxen zurück. Bei gelegentlichen Sparrings merkte ich, dass ich in der ganzen Zeit zu viel Skills aufgebaut hatte, um jetzt einfach aufzuhören. Darum blieb ich mit minimalem Aufwand (5 Trainings pro Woche) dran. Ich orientierte mich an Übungen, die ich beim Sportring Zürich gelernt hatte und blieb durch Trainings mit meinem Bruder Urim Smajli immer noch „sharp“.

Gewinn der Bronzemedaille beim 70. Strandja Memorial in Sofia

Du hast auf dem internationalen Parkett schon einiges «gerissen». Welches waren deine bisher schönsten Erfolge?

Ich glaube ich hatte international nie so viel Freude nach einem Kampf wie nach meinem Debüt am Strandja Turnier 2015. Der damalige Nationalcoach Federico Beresini und ich nahmen damals an einem zweiwöchigen Trainingslager teil. Die Bedingungen waren hart und der Druck, die Mühen und Kosten dieser zwei Wochen gut zu machen gross. Der Gegner war ein Olympionike aus Azerbaijan und WSB Boxer. Zu dieser Zeit hat mir das grossen Respekt eingeflösst. Ich habe aber alles abgerufen was ich kann und jede Runde gewonnen. Die Erlösung war unglaublich!

Wie fühlt es sich an, die Schweiz an Turnieren zu repräsentieren?

Grossartig! Das Gefühl, bei grossen Turnieren dabei zu sein und so viele verschiedene Menschen zu treffen ist schön. Der Gedanke, dass jeder Teilnehmer sich in seinem Land durchsetzen musste, um dort hin zu gelangen, macht mich auch ein bisschen stolz. Ich liebe es, für die Schweiz zu boxen. Einerseits möchte ich auch etwas zurückgeben, weil mein Leben dank den Institutionen dieses Landes das ist, was es heute ist und andererseits, weil es nur in so einem kleinen Land möglich ist, gleichzeitig zu studieren, zu arbeiten und zu boxen. Bei einem grossen Land hätte ich mich dem Sport 100% verschreiben müssen.

Wie beurteilst du die Athletenförderung im Boxen in der Schweiz?

Gute Frage! Die Unterstützung war und ist sehr bescheiden. Zum Einen ist es strukturell bedingt. Da der Pool an talentierten Boxern, die auch Zeit und Wille haben sehr klein ist, fehlt die Dynamik, welche mit einem guten Team daher kommt. Zum Anderen werden Ressourcen nicht primär für aussichtsreiche Athleten bereitgestellt. Der Fokus auf lokale Veranstaltungen mit dem SwissBoxing Team ist meines Erachtens nicht zielführend. Gute Boxer müssen (international) unterwegs sein und auch ein professionelles Umfeld haben. Ich rede explizit nicht von Entlohnung, da ich weiss das das Budget bescheiden ausfällt. Mit Michi Sommer als treibende Kraft tritt das SwissBoxing Team dieses Jahr endlich als Mannschaft auf der internationalen Bühne auf. Bisher war ich im A- Kader immer alleine unterwegs. Es ist von höchster Wichtigkeit, am Puls des Geschehens dabei zu sein. Boxer gewöhnen sich an den Druck und verlieren den übermässigen Respekt von grossen Nationen, Punktrichter sehen, wie international gewertet wird und Trainer können ihr Training auf Basis der Erkenntnisse von Turnieren anpassen. Man boxt nämlich für die Punktrichter und für niemanden sonst!

Du hast seinerzeit in Glattbrugg den englischen Newcomer Joshua Buatsi (9 Kämpfe, 7 KO-Siege) geschlagen. Buatsi gilt als der kommende Star im Halbschwergewicht und wird voraussichtlich viel Geld verdienen. Wieso bist du nicht längst ins Profilager gewechselt?

Profi Boxen ist ein Business, und für mich persönlich lohnt es sich nicht, ein Geschäft mit so einem tiefen erwarteten Gewinn einzugehen, wenn man dabei seine Gesundheit aufs Spiel setzt. Zudem kommt man auch mit harter Arbeit und Talent nicht ans Ziel, ohne die nötige Finanzierung. Das Marktpotential in der Schweiz ist einfach zu klein. Ich könnte mein Glück auch in England versuchen, aber mein Leben spielt hier in der Schweiz und ich bin schon 26 Jahre alt.

Und zu den Schweizer Profis: Man muss aber auch zugeben, dass es vielleicht mehr Spass macht, in der Schweiz Profi zu sein, zumal die Zeitungen in der Schweiz den einen oder anderen Artikel übers Profiboxen publizieren, hingegen null Interesse am Amateurboxen zeigen. Und im Nachhinein sind Zeitungsartikel und Fotos sicher eine schöne Erinnerung. Solange jeder mit Leidenschaft dabei ist, bin ich froh, dass unser Sport weiter lebt.

Sieg gegen Petru Ciobano, U22 Europameister, an der Uni-WM in Thailand

Du boxt, studierst und arbeitest zugleich. Wie sieht dein Alltag aus?

Jeder Tag ist durchgeplant mit To-Do listen. An 2 Tagen in der Woche bin ich im Büro und die Uni hat den Vorteil, dass der Löwenanteil der Arbeit von überall aus erledigt werden kann. Trainings absolviere ich Zürich bei beiden Boxclubs, im ASVZ und bei meinem Verein Noble Art Boxing Frenkendorf. Die Tage beginnen um 7 und enden um 22 Uhr. An Wochenenden bleibe ich auch dran, aber dann nehme ich mir gerne Zeit, um etwas zu entspannen. Spazieren in der Natur, mit der Freundin kochen oder eine Serie auf Netflix schauen sind meine Favoriten.

Wie viele Stunden trainierst du pro Woche? Dein Trainings-Tipp?

Momentan ist es nicht so viel. 6-mal die Wochen à durchschnittlich zwei Stunden. Es ist das absolute Minimum und mein Gewissen hätte mich früher nie in Ruhe gelassen mit so einem tiefen Trainingspensum. Mein Tipp ist einfach. Die Basis (Kondition, Kraft) kann man gut allein machen. Qualität ist das Wichtigste. Wenn man eine gute technische und motorische Basis hat, kann man viel mehr machen. Investiere am Anfang in deine Abläufe. Das geht aber nicht alleine. Man braucht einen guten Trainer, der auf die Bewegungen achtet und einem auch Ringintelligenz beibringt.

Und eine Frage, die besonders deine Gegner interessieren dürfte: Deine Stärken und Schwächen als Boxer?

Ich hab starke Nerven, ein gutes Auge und versuche immer mich weiter zu entwickeln. Meine Schwäche ist mein Zeitmangel und meine Doppeldeckung. Ich hasse die Doppeldeckung!

Ukë an der Uni-WM in Chaing Mai (Thailand), betreut von Trainer Pascal "Chagaev" Stalder

Was denkst du zum Weltverband des Amateurboxens AIBA (Ten-Point-Must-System, Regeln, Korruption usw.)?

In einem Wort: Eine Katastrophe. Die AIBA hat alles versucht, um an Relevanz zu gewinnen. Ich hätte es ihr gegönnt, da sie immerhin nur einen statt gefühlte 10 Weltmeister pro Kategorie erlaubt. Jedoch sehe ich keinen Sinn darin, die Wertung so subjektiv zu gestalten, in dem man ein Ten-Point-Must-System einführt. Schon bei 12 Runden zeigen sich oft divergierende Urteile. Viele Runden sind sehr knapp auf dem höchsten Niveau und man kann sie so oder so werten. Bei uns werden nur 3 Runden geboxt. Das macht ein Kardinales Punktesystem (in dem man sieht um wieviel jemand besser ist, statt nur WER führt) umso wichtiger. Das alte System war so. Man sah immer wie viele Punkte man in Führung lag. Gleichzeitig ist das heutige System anfälliger auf Korruption. Zu guter letzt steigt mit dem heutigen Punktesystem auch die Verletzungsgefahr. Dominanz aus der Ringmitte führt zu vielen Cuts. Wieso geht es über 12 Runden besser? Ganz einfach: weil dort das Tempo langsamer ist. Wir brauchen das Punktesystem wieder.

Und nun noch 3 Fragen zum Schluss:

Wie lautet dein wichtigster Ratschlag für Junge, die den Boxsport ebenfalls ausüben möchten?

Bleibt immer hungrig, lernfreudig und das Wichtigste: dranbleiben! Qualität braucht seine Zeit und es besteht nicht der beste, sondern derjenige, der es mehr will. Ich sehe auch, dass die neue Generation alles etwas lockerer nimmt. Egal ob Sieg oder Niederlage, es wird fleissig und gut gelaunt auf Instagram geteilt und alles wird pauschal als „gute Erfahrung“ angenommen. Meine ersten Niederlagen waren so schmerzhaft, dass sie mich dazu gewungen haben, mental zu wachsen. You die hard when you try hard. Das gehört dazu und ist das, was dem Sieg die Bedeutung schenkt. Zu guter Letzt. Denkt an eure Gesundheit. The name of the game is to hit and not get hit!

Hast du ein Vorbild als Boxer? Ist für dich – wie für die meisten Leute – Muhammad Ali auch der beste Boxer aller Zeiten?

Ich würde sagen nicht der beste aber der grösste. Er war mehr als ein Boxer und hat sich nicht an die Normen seiner Zeit gehalten. Ich bewundere viele Boxer wegen ihrer Fähigkeiten, aber ich kann mich nur an denen orientieren, die etwa wie ich gebaut sind und ähnlich boxen. Andre Ward ist ein gutes Beispiel für einen intelligenten, vielseiteigen Boxer.

Bachelor Diplomfeier 2017 an der Universität Zürich

Und die allerletzte Frage: Wie stehst du mit deinem Hintergrund als Flüchtling aus Kosovo zur Doppeladler Affäre?

Ich hätte es nicht anders gemacht. Dass die Diskussion derart ausgeartet ist, hat mich aber überrascht. Das war ein sehr emotionales Spiel und der Druck und die Erlösung müssen enorm gewesen sein. Die Message des Doppeladlers geht klar und deutlich an Freunde und Verwandte und sollten nicht als Provokation gewertet werden. Natürlich war es den Spielern klar, dass es nicht gerne gesehen wird, aber wer denkt in so einem Moment daran?  Ich habe den Doppeladler auch schon gemacht, und jeder der mich kennt weiss, dass ich die Schweiz liebe. Dass traditionelle Schweizer ein Bekenntnis zu einem der Länder verlangen ist schade. Man kann meiner Meinung nach zu seiner Herkunft stehen und sich trotzdem Schweizer nennen.


Besten Dank, dass du dir Zeit genommen hast für das Interview. Wir wünschen dir weiterhin nur das Beste, vor allem gute Gesundheit und sportlichen Erfolg.
 

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* gemeint ist auch das weibliche Geschlecht

 

 

 

 

 

 

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