Schattenboxen
16.04.2010 17:21 Uhr
Es ist wahrlich keine leichte Kost, die uns die Komponisten Michael Heisch (nicht zufällig auch Boxer und Präsident des BC Zürich) und Daniel Mouthon in der Dramaturgie von Tobias Gerber vorsetzen. In höchst ambitionierter Weise verquicken die beiden in ihrer Performance unterschiedlichste menschliche Ausdrucksformen, um so neue Spannungsfelder von äusseren und inneren Zuständen zu erzeugen: Musik, Tanz, Boxen, Ballett, gesungener und gesprochener Text, Pantomime, Gesang, Skulptur, Slapstick, visuelle Performance, kurz: Aktionskunst in all ihren Ausprägungen. Es liegt auf der Hand, dass Michael Heisch nach Möglichkeiten dafür gefahndet hat, seine beiden Passionen zu verschmelzen: die Musik und das Boxen. Was auf den ersten Blick vielleicht etwas künstlich daherkommt, erweist sich als Angebot völlig neuer Lesarten des sozialen Menschen zwischen Zusammenarbeit und Gegnerschaft. Dabei wird keine Geschichte, bzw. „Inhalte“ im landläufigen Sinn erzählt. „Schattenboxen“ entwickelt keine Handlung hin zu ihrem Höhepunkt, um dann uns Zuseher mit einer Moral von der Geschichte nach Hause zu entlassen. Wir sind vielmehr gehalten, unsere herkömmlichen Seh- und Hörgewohnheiten abzulegen und uns möglichst auf neue, paradoxe Ton- und Bildnachbarschaften, ja Kollisionen einzulassen. Dass bei einem solchen Zugang dramaturgische oder choreographische Elemente mitunter keine organische Verbindung zu ihrer klanglichen Umgebung herstellen können und fast autistisch für sich ablaufen, ist der Preis, den Heisch und Mouthon bewusst bezahlen. So verweist das regelmässige, fast leitmotivische Bandagieren der Hände zu keinem Moment auf mehr als sich selbst. Etwas überraschend verpufft auch der mehrfach zitierte „Boxer“ von Simon & Garfunkel eigentümlich im Leeren, weil er in geradezu didaktischer Weise musikalischen Ausdruck und Gedanken zur Rolle des Boxers in der Gesellschaft verbindet. An anderer Stelle werden Gedanken zum boxenden und sozialen Menschen formuliert und, gleichsam wie in einer Bachschen Fuge, übereinandergelegt. Das ist zwar akustisch beeindruckend, überfordert aber den Zuseher auch, weil fast jedes Ausdrucksgefäss - Text, Klang, Bewegung, Bild - mit Bedeutung voll aufgeladen wird und gerade dadurch in der Summe an Aussagekraft einbüsst. Auch solche Elemente werden aber meist schnell - mit dem „Gong“ zur nächsten Runde! - gebrochen. |
„Schattenboxen“ ist ein wagemutiges Experiment, das nicht eine Handlung folgerichtig entwickelt, sondern zwischen unterschiedlichsten Registern mäandriert und dabei sämtliche Sinne des Zuschauers anspricht. Dies erfordert – wie beim strategisch erfolgreichen Boxen auch ! – Kopf und Herz gleichermassen. Ist man offen, wird man wiederholt voll getroffen. Das ist aber für einmal gut so: Die ganze Sperrigkeit und Widerborstigkeit, die zahllosen Paradoxien und ironischen Verfremdungen dieses erstaunlichen musikalisch-szenischen Parcours’ erfährt nur, wer bereit ist, seine automatisierten Seh- und Hörgewohnheiten abzulegen. Wenn Kunst neue Bedeutungen schafft, dann sind wir in "Schattenboxen" Zeugen eines wahrhaft schöpferischen Aktes. |
Dr. Gérald Kurth
Konzept und Komposition: Michael Heisch / Daniel Mouthon
Produktionsleitung: Daniel Mouthon / Michael Heisch
Dramaturgie: Tobias Gerber
Moderation: Daniel Mouthon
Visueller Performer/ Soundscapes: Luigi Archetti
Video-Dokumentation: Nelly Rodriguez
Licht / Bühne: Johan Herak
Kostüme: Katja Rey
Musikalische Gestaltung: ensemble für neue musik zürich mit Hans-Peter
Frehner (Flöte) / Manfred Spitaler (Klarinette) / Viktor Müller (Keyboard) / Lorenz Haas (Perkussion) / Urs Bumbacher (Violine) / Nicola Romanò (Violoncello)
Gesang: Jeannine Hirzel
Darsteller: Katrin Ritz, Sandra Steiner, Irene M. Wrabel, Tobias Gerber, Michael Heisch