SPIEGEL-GESPRÄCH:

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24.05.2010 10:12 Uhr

24.05.2010 - Gregor Stadelmann von der Box-Schule Gebenstorf hat swissboxing.ch freundlicherweise auf das auf "Spiegel-Oneline" erschienene Interview mit dem deutsch-türkischen Box-Promoter Ahmed Öner hingewiesen. Ich empfehle den Besuchern der Homepage die Lektüre dieses sehr interessanten Interviews. Jack Schmidli

 

Box-Promoter Ahmet Öner, 38, über Schlägereien bei Kampfabenden, parteiische Ringrichter, seine Verstrickungen im Hamburger Milieu und die schwierige Aufgabe, kubanischen Profiboxern Disziplin beizubringen
SPIEGEL: Herr Öner, der preisgekrönte Hamburger Regisseur Fatih Akin will Ihre Geschichte verfilmen. Er beobachtet Sie seit Wochen bei Kampfabenden, führt lange Gespräche mit Ihnen. Was wird das für eine Story?
Öner: Ich denke, die eines Gewinners, eines Mannes, der es von ganz unten nach oben geschafft hat, der als Profi im Ring stand, der jetzt als Promoter Verträge mit TV-Anstalten hat, der es all den Lackaffen im deutschen Boxen gezeigt hat.
SPIEGEL: Es könnte auch die Geschichte eines Mannes werden, der kein Boxklischee auslässt: mit einem Ruf als Rüpel, der Rolex am Handgelenk, den Bodyguards, dem Bentley.
Öner: Ach, der Bentley. Wissen Sie, ich bin als Sohn türkischer Einwanderer im Duisburger Stadtteil Marxloh aufgewachsen, das ist nicht die freundlichste Ecke Deutschlands. Ich habe mir als Junge geschworen, wenn ich mal Geld habe, leiste ich mir auch mal was Besonderes. Ich habe jetzt Geld. Ich finde Sportwagen affig. Ich wollte eine Limousine. Bei Mercedes in Hamburg habe ich Hausverbot. Deshalb fahre ich jetzt eben Bentley.
SPIEGEL: Sie waren als Jugendlicher Chef einer Gang, es gab verschiedene Drogendelikte, oft Ärger mit Türstehern.
Öner: Aber ich habe die Kurve gekriegt. Ich habe das Abitur nachgemacht, sogar angefangen zu studieren. Und ich habe das Boxen für mich entdeckt. Das hat mich gerettet.
SPIEGEL: Was haben Sie im Ring gelernt?
Öner: Ich habe gelernt zu kämpfen, gelernt, wie man Schläge einsteckt, Schmerzen und Ängste verdrängt. So was hilft auch im normalen Leben.
SPIEGEL: Boxer haben Ängste?
Öner: Fast alle. Mike Tyson hat mal vor einem Kampf geweint. Aber ein Boxer fürchtet nicht die Schläge, er hat Angst vor dem Versagen. Vor Publikum verprügelt zu werden ist eine brutale Demütigung.
SPIEGEL: Was haben Sie gemacht, wenn ein Gegner überlegen war?
Öner: Ich wurde unsauber. Ich stieß mit dem Kopf zu, schlug mit dem Ellenbogen. Es war ein Instinkt.
SPIEGEL: Er scheint noch zu funktionieren. Sie haben als Promoter eine steile Karriere hingelegt, Sie machen Geschäfte mit der US-Szenegröße Don King, Sie verhandeln gerade mit Sat.1 über eine Veranstaltungsserie. Ihr kubanischer Weltmeister Gamboa gehört zu den besten Boxern der Welt. Aber Sie haben einen schlechten Ruf. Es heißt, mit dem Öner sei das Milieu in den deutschen Boxsport zurückgekehrt.
Öner: Ich arbeite in einem verlogenen Business. Andere Promoter stellen sich gerne als Saubermänner dar. Ich bin da ehrlicher. Ich sage: Ich bin ein ernsthafter Geschäftsmann, aber wo gehobelt wird, fallen auch Späne.
SPIEGEL: Zum Beispiel bei einem Termin in einer Hamburger Privatbank. Sie fühlten sich von einem Vorstand nicht ernst genommen und verpassten dem Mann eine Kopfnuss.
Öner: Es gab in der Vergangenheit Situationen, in denen es mir schwerfiel, an mich zu halten.
SPIEGEL: Und dann kam es vor, dass Sie mit einem Zuckerstreuer nach der Frau eines Promoter-Kollegen geworfen haben?
Öner: Es war ein Salzstreuer. Er flog gegen die Wand.
SPIEGEL: Was ist los mit Ihnen?
Öner: Es kommt alles aus meiner Jugend. Ich war immer der dumme Türke, der nie von den Jungs aus gutem Hause eingeladen wurde, später schnappten einem die guten Jungs die Mädchen weg. So entsteht die Wut. Ich habe das mit meinem Psychologen durchgesprochen.
SPIEGEL: Sie gehen zum Psychologen?
Öner: Ich mache seit einigen Monaten eine Anti-Aggressions-Therapie. Es hilft. Ich raste heute nicht mehr aus, wenn ich mal im Stau stehe.
SPIEGEL: Sie wurden im Februar vom Hamburger Amtsgericht zu einer 22-monatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, unter anderem wegen Erpressung, Nötigung und Körperverletzung. Funktioniert das Boxgeschäft so, dass man mit Gewalt nach oben kommt?
Öner: Nein. Der Boxsport wird heute vom Fernsehen gesteuert. Da kommt das Geld her. Und die Leute von den TV-Anstalten arbeiten nicht mit der Halbwelt.
SPIEGEL: Früher wurde der Boxsport von Schriftstellern gerne als Metapher auf das wahre Leben überhöht. Was ist Boxen heute?
Öner: Das Profiboxen hat seinen Glanz verloren, seine Ausstrahlung. Es gibt keine großen Helden mehr. Es geht um Geld, Geld, Geld. Die Promoter produzieren ständig irgendwelche neuen Weltmeister, deren Namen sich niemand merken kann, damit die Fernsehsender, die heute den Boxsport mit ihren Geldern subventionieren, ihre Sendeplätze füllen können. Es ist eine Art Fließbandfabrikation, auf Qualität wird kaum mehr geachtet.
SPIEGEL: Gibt es eine Moral im Boxgeschäft?
Öner: Bei mir schon. Bei mir gilt immer: Möge der Bessere gewinnen.
SPIEGEL: Tatsächlich? Bei Ihrem Kampfabend im März in Hamburg gab Ihr Schwergewichtler Steffen Kretschmann gegen den Russen Denis Bachtow in der neunten Runde ausgepumpt auf. Der Ringrichter wollte Ihrem Boxer den Sieg dennoch durch eine zweifelhafte Disqualifikation des Gegners wegen angeblichen Nachschlagens zuschanzen. Selbst hartgesottene Szenekenner schüttelten den Kopf. War der Mann gekauft?
Öner: Das war ein freundlicher Ringrichter, den ich schon lange kenne. Als Promoter zahlt man für die gesamte Veranstaltung, auch für die Offiziellen. Da entwickeln manche Ringrichter ihre eigene Logik. Die wissen, dass der Promoter für so einen Kampfabend viel Geld ausgibt. Sie wollen möglichst oft eingesetzt werden. Deshalb halten sie, wenn es eng wird, zum Promoter.
SPIEGEL: Viele ausländische Boxer meiden Deutschland wegen der promoterfreundlichen Punkt- und Ringrichter.
Öner: Man hat als Veranstalter eben einen Heimvorteil. Das ist legitim. Es darf nur nicht zu krass ablaufen. Dann fühlt sich das Publikum verschaukelt. Deshalb bin ich bei dem Kretschmann-Kampf auch in den Ring gestiegen und habe den Arm von Bachtow hochgehoben, um zu zeigen: Hier steht der Gewinner. Ich wollte diesen Sieg nicht. Nicht auf diese Art.
SPIEGEL: Sie haben in den vergangenen Jahren die Boxszene aufgemischt. Sie hatten Geldgeber, die Ihnen 20 Millionen Euro zur Verfügung stellten, um einen Boxstall aufzubauen. Sie gründeten ein Luxus-Trainingszentrum in Hamburg, buhlten bei Promoter-Kollegen um Talente, Sie halfen kubanischen Champions bei der Flucht und nahmen sie unter Vertrag. Irgendwann beschwerte sich Fidel Castro persönlich über Sie. Haben Sie viele Feinde?
Öner: Es gibt in der Tat einige Leute, die mir meinen Erfolg nicht gönnen.
SPIEGEL: Zwei dieser Leute lauerten Ihnen vorigen August in einem Hamburger Hinterhof auf. Es fielen Schüsse, Sie wurden im linken Bein getroffen.
Öner: Splitter der Kugel stecken noch im Bein. Ansonsten ist alles gut verheilt.
SPIEGEL: Wer hat geschossen?
Öner: Darüber möchte ich nicht spekulieren.
SPIEGEL: Wie ist es, wenn man plötzlich selbst zur Zielscheibe wird?
Öner: Es war ein Schock. Ich wusste, dass es Leute gibt, die ein Problem mit mir haben. Dass diese Leute so weit gehen würden, habe ich nicht gedacht. Aber ich habe die Sache von Anfang an verdrängt, habe einfach weitergemacht, als sei nichts gewesen. Bereits beim Transport ins Krankenhaus habe ich mit meinem Anwalt telefoniert und ihm gesagt, ich könne nicht zu einer Pressekonferenz nach Florida kommen. Erst danach habe ich meine Eltern angerufen.
SPIEGEL: Sie haben Deutschland mittlerweile verlassen. Das Trainingszentrum gibt es nicht mehr. Die Geldgeber auch nicht. Sie arbeiten jetzt hauptsächlich in Florida und in der Türkei, wo Sie jetzt auch leben. War es eine Flucht?
Öner: Man kann es als eine Art Flucht bezeichnen. Aber nicht vor den Leuten, die mich angegriffen haben. Sondern vor meinem früheren Leben.
SPIEGEL: Was war das für ein Leben?
Öner: Ich habe mich in einer Schattenwelt bewegt. Ich kannte das Milieu. Ich war da nicht aktiv. Aber ich war präsent. Ich war ein Zocker: Poker, Fußballwetten. Ich hing rum in Casinos, war Everybody's Darling. Es hieß immer: "Ja, da kommt der Öner, der ist cool, hat immer die Scheine locker in der Tasche."
SPIEGEL: Sie haben Geld verloren?
Öner: O ja. Aber auch gewonnen. Aber ich habe mich verabschiedet aus dieser Welt. Für mich gibt es das alles nicht mehr. Ich will es nicht mehr. Ich gehe auch in bestimmte türkische Cafés in Hamburg nicht mehr. Weil es nur Probleme bringt.
SPIEGEL: Was war dort los?
Öner: Wenn man wie ich in der Color-Line-Arena verprügelt wird, dann heißt es in diesen Cafés: "Komm, Ahmet, Rache!" So geht das los. Und irgendwas bleibt hängen. Setzt sich in dir fest. Ich konnte damit nicht umgehen, ich wurde immer aggressiver, irgendwann dachte ich auch: "Okay, Rache!" Und das ist nicht gut. Weil es mich in meinem Beruf als Geschäftsmann natürlich behindert. Ich musste die alte Welt hinter mir lassen.
SPIEGEL: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie zu tief drinstecken?
Öner: Zum Ende meiner Verhandlung. Da hat es klick gemacht. Ich dachte mir: Lieber Gott, lass mich mit Bewährung davonkommen! Nun gehe ich meinen eigenen Weg. Ohne Einflüsterer, Ratschlaggeber. Aus Selbstschutz.
SPIEGEL: Sie sind nur noch selten in Deutschland, meist nur zu kurzen Geschäftsterminen. Haben Sie Angst vor einem Rückfall?
Öner: Nein. Aber Deutschland ist für mich momentan kein gutes Pflaster. Die Staatsanwaltschaft in Hamburg hat mich, glaube ich, noch auf dem Kieker. Es ist schwierig. Aber ich werde zurückkehren. Ich würde gerne in München leben. Ich mag Deutschland, die preußische Disziplin, das gute Bildungssystem.
SPIEGEL: Wirklich?
Öner: Mein Sohn besucht die gleiche Internationale Schule im Hamburger Stadtteil Othmarschen, auf die auch der Sohn von Vitali Klitschko geht. Ich würde sogar meinen Bentley verkaufen, um meinem Sohn auch in Zukunft eine erstklassige Schulausbildung in Deutschland zu gewährleisten.
SPIEGEL: Die Klitschko-Brüder haben den Boxsport in den vergangenen Jahren in Deutschland geprägt, das Publikum liebt die beiden Ukrainer, weil sie anders als viele Boxer sind, höflich, Männer mit Manieren. Sind Sie in der heutigen Boxszene nicht in Wahrheit ein Fremdkörper?
Öner: Für Otto Normalverbraucher bestimmt. Aber es gibt genügend Leute, die gerne mit mir Geschäfte machen. Am Ende mancher Verhandlungen heißt es zwar oft: "Aber erzähl nicht rum, dass wir uns getroffen haben, Ahmet." Manche Partner fürchten um ihren guten Ruf, wenn herauskommt, dass sie mit mir Geschäfte machen. Doch damit komme ich klar. Ich bin eben der Outlaw.
SPIEGEL: Warum kommen die großen Duelle im Boxen so schwer zustande?
Öner: Weil es keinen Dachverband gibt, der die Kämpfe anordnet. Weil es stattdessen vier Weltverbände gibt, die alle ihre Eigeninteressen vertreten. Weil kein Promoter das Risiko eingehen will, dass sein Champion gegen einen anderen Champion verliert, da eine Niederlage den Marktwert beschädigt. So versackt alles im Mittelmaß. Aber ich darf nicht meckern. Ich mache da ja bis zu einem gewissen Punkt auch mit. Wobei mir manchmal der Spaß an der Sache schon abhandenkommt.
SPIEGEL: Wieso?
Öner: Ich glaube, ich will diesen Job nicht ewig machen. Es ist anstrengend, zermürbend. Es macht einen wahnsinnig, ständig mit kubanischen Boxern umgehen zu müssen. Die haben zehn Goldkettchen um den Hals hängen und jeden Tag eine neue Freundin. Ich bin für so was langsam zu alt. Ich will sehen, dass ich in den nächsten Jahren so viel Geld mache wie möglich, und dann bin ich auch schnell raus aus dem Geschäft. Außerdem weiß man ja nie, wer einem als Nächstes in einem Hinterhof begegnet.
SPIEGEL: Sie haben Angst?
Öner: Ich habe die Schießerei lange auf die leichte Schulter genommen. Ich sagte mir: "Ahmet, sie haben dir ins Bein geschossen. Na gut. War doch halb so wild." Aber die Polizei hat zwei Einschüsse in der Wand gefunden. Auf Körperhöhe. Sie sagen, es lag wohl doch eine Tötungsabsicht vor.
SPIEGEL: Herr Öner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
(*1) Mit Ahmet Öner bei einem Kampfabend in der Color-Line-Arena am 19. Mai 2007.Das Gespräch führte Redakteur Gerhard Pfeil.


 

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