Yves Studer ist IBC-Weltmeister!

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27.12.2010 19:33 Uhr



Bericht von Gérald Kurth (Text) und Ueli E. Adam & Fabienne Nigg (Fotos)

27.12.2010 - Auch wenn der Wert des Gürtels, der von keinem der vier anerkannten vier grossen Weltverbände vergeben wird, durchaus skeptisch beurteilt werden darf: Yves Studer ist nach einer insgesamt gelungenen Vorstellung gegen den Brasilianer Samir dos Santos Barbosa verdienter IBC-Titelträger im Mittelgewicht, und die Schweiz hat damit einen Boxweltmeister!

Der Sieg vor dem traditionell entspannten Publikum im seit Wochen ausverkauften Berner Kursaal war zu keinem Zeitpunkt gefährdet, denn Studer behielt gegen seinen hierzulande unbekannten, aber mit einem durchaus Respekt heischenden Kampfrekord angereisten Gegner aus Südbrasilien jederzeit die Oberhand. Es zeigte sich schnell, dass Barbosa zwar einiges einstecken konnte, aber zu selten selber punkten wollte. Insofern konnte Studers Kampf leider nicht halten, was die Affiche versprochen hatte. Barbosa war zwar kein inferiorer Gegner. Damit der Titelkampf aber auch zum erhofften Knaller in der gediegenen Atmosphäre des Kursaals hätte werden können, hätte der Brasilianer eindeutig mehr Eigeninitiative entwickeln müssen. Der Umfang seiner Oberarme hatte eigentlich darauf hingedeutet, dass man Studer einen ungemütlichen Puncher vorsetzte…

Für den reibungslosen Ablauf des Abends zeichnete einmal mehr die Crew um Daniel Hartmann verantwortlich. Der Präsident der Berner Boxing Kings wurde dabei sekundiert von der Republica Promotion von Barbara Trachsel. Sehr erfreulich war, dass neben dem Berner Lokalfernsehen Telebärn auch SF zugegen war, um Studers Kampf aufzuzeichnen. Auf der Sportredaktion im Leutschenbach ist vermutlich auch jetzt nicht unvermittelt die grosse Begeisterung über den Boxsport ausgebrochen. Dennoch scheint man gewillt zu sein, die Anstrengungen der unter teils beklagenswerten Bedingungen arbeitenden Schweizer Boxszene häufiger mit ein wenig Sendezeit honorieren zu wollen. Es wäre nicht nur dem neuen Champ Yves Studer, sondern auch zahlreichen anderen Nachwuchsboxerinnen und -boxern sehr zu wünschen.
 
 
Die Profikämpfe
 
Bantam (bis 53 kg)
Aniya Seki (Boxing Kings, CH) vs. Polina Penčeva (BG)

Nach einer ersten Runde des gegenseitigen Abtastens marschierte Seki (rechts im Bild) immer häufiger vorwärts und traf die Bulgarin mit einigen schnörkellosen Links-Rechts-Kombinationen. So verschaffte sich die von Bruno Arati gecoachte Lokalmatadorin schnell ein Punktepolster, das ihr einen ungefährdeten Sieg einbrachte. Obwohl Seki in den letzten Runden versuchte, die Bulgarin auszuknocken, gelang ihr das nicht. Das lag vor allem an Sekis vorhersehbarer Angriffsstrategie: Zu oft marschierte sie mit geducktem Oberkörper nach vorne, ohne dabei die Abwehrschläge der Bulgarin auszupendeln und wurde deshalb wiederholt durch die Deckung hindurch getroffen.



Dabei bewies sie, dass sie eigentlich aus der Distanz mit ihrer Auslage in schöner Regelmässigkeit punkten kann: Sie traf Penčeva jedes Mal, wenn sie ihren Jab kurz und trocken über die Deckung zum Kinn der Bulgarin zog. Trotz - oder gerade wegen - ihrer mitunter ungestümen Angriffe ist aber Aniya Seki eine absolute Sympathieträgerin, deren Auftritte vom heimischem Publikum jeweils mit viel herzlichem Applaus quittiert werden. Den verdiente sie sich - ebenso wie ihre bulgarische Gegnerin - für einen kämpferischen und jederzeit fairen Auftritt.

Die Wertung:

T. Zimmermann, bzw. D. Gottardi:   60:54 (Seki)
A. Bracher     59:56 (Seki)


Halbweltergewicht Herren
Martino Ciano (SUI) vs. Cédric Kassongo (SUI)

Ein Kampf, der vorübergehend einen unerfreulichen Verlauf nahm, aber glücklicherweise nicht vollends eskalierte. Der für seinen attraktiven Kampfstil bekannte Ciano (rechts im Bild) ging wie gewohnt in die Offensive, verfehlte aber mit seinen gewaltigen Schwingern oft das Ziel, da sein flinker Genfer Gegner deren Flugbahn mühelos antizipierte. Weil er über die Aussenbahn kaum punktete, ging der Wühler Ciano ab der dritten Runde vermehrt in den Infight. 



 
Dort schlug er zwei, drei Mal etwas gar tief. Es war aber wohl ein bisschen zu viel des Schlechten, dass die von Kassongo jeweils mit viel Theatralik ausgekosteten, mutmasslichen Lowblows in der Summe einen Punktabzug gegen Ciano ergaben. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Kampf ziemlich gehässig. Ciano blutete nach einer krachenden Rechten Kassongos heftig an der Stirn. Er bewies aber trotz Sichtbehinderung einmal mehr sein grosses Kämpferherz und schlug pausenlos weiter. Speziell ins Visier nahm er dabei Kassongos linkes Jochbein, das gegen Ende immer stärker anschwoll und auch dessen Sehvermögen beeinträchtigte. Der Fight endete in einem offenen Schlagabtausch, der mit dem aktiveren Martino Ciano einen letzlich verdienten, wenn auch knappen einstimmigen Sieger hatte.

Die Wertung:

Domenico Gottardi                 57:56
Thomas Zimmermann             57:55
Armin Bracher:                       56:55
 
 
Halbschwergewicht
Mohamed Belkacem (Boxing Kings, SUI) vs. Merdjidin Yuseinov (BG)

Boxing King Mohamed Belkacem (rechts im Bild) bekam einen Gegner vorgesetzt, der mit negativem Kampfrekord angereist war und nicht voll austrainiert wirkte. Das hinderte ihn aber nicht daran, überdurchschnittlich viel einzustecken und den Kampf stehend zu überleben. Es war schon erstaunlich zu beobachten, wie der Bulgare nonchalant die Deckung hängen liess. Dabei wurde er zwar von Belkacem regelmässig bestraft, aber bis zuletzt ohne echte Schlagwirkung. Der Berner packte sein gesamtes Schlagrepertoire aus und überzeugte insbesondere mit gepflegten Uppercuts oder am Mann geschlagenen Hakenserien zum Kopf. Aber Yuseinow wollte sich partout nicht hinlegen.



Auch als er in der achten Runde von Ringrichter Fabian Guggenheim angezählt wurde und doch etwas benommen wirkte, konnte er sich über die Zeit retten. Das unbefriedigende Fazit für "Momo" Belkacem: Gegen einen destruktiv nach hinten orientierten Gegner (nie war ein Kampfname so unzutreffend - The Artist…) mit ausgeprägten Nehmerqualitäten findet er nur schlecht ein Rezept. Kämpfe gegen Kontrahenden dieses Typs enden wohl mit überzeugenden Punktesiegen, bergen aber gleichzeitig ziemliches Frustpotenzial.

Die Wertung:

D. Gottardi, T. Zimmermann, A. Bracher:  je 80:71 (Belkacem)
 
 
Mittelgewicht
Vitalij Kopylenko (BC Ascona, SUI) vs. Zdravko Nikolov (BG)

Erst nach dem Hauptkampf kam das Berner Publikum wieder einmal in den Genuss, den Auftritt der grössten Hoffnung aus dem Tessin mitzuverfolgen: Der aus der Ukraine stammende Vitalij Kopylenko (links im Bild) verbucht mittlerweile elf Siege in ebenso vielen Kämpfen. Es ist schon beeindruckend mitzuerleben, wie der von Federico Beresini (neuer Sportmanager von Swissboxing) gecoachte Kopylenko Anweisungen im Kampf innert Sekundenbruchteilen umsetzt. Sein bulgarischer Gegner Nikolov konnte einem umso mehr leid tun, als er in Anwesenheit seines Promotors Philippe Fondu seine ganze Leidensfähigkeit mobilisierte: Fünfmal zwang Kopylenko den Bulgaren mit chirurgisch präzis gesetzten Leberhaken in die Knie, aber jedes Mal stand Nikolov wieder rechtzeitig auf, um die nächsten Salven über sich ergehen zu lassen. In der siebten Runde blies ihn dann aber der Ukrainer mit zwei krachenden Geraden (erst links, dann rechts) endgültig in die Seile. Dass der lupenreine KO nach 2:59 als TKO gewertet wurde, lag daran, dass irgendwann dazwischen auch noch ein Handtuch durch den Ring flatterte.



Kopylenko vereinigt alles, was einen grossen Boxer ausmacht: eine perfekte Athletik, beste boxerische Ausbildung, strategische Intelligenz und die seltene Begabung, mitten im Gefecht das unaufgeregte Coaching Beresinis umzusetzen. Von Vitalij Kopylenko werden die Schweizer Boxfans bald wieder hören. Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass Promotor Michele Barra sein ukrainisches Juwel auch auf dem deutschen Markt vorstellen dürfte, wenn die Leistungskurve weiter so steil nach oben zeigt.



Mittelgewicht (WM IBC)
Yves Studer (Boxing Kings, CH) vs. Samir dos Santos Barbosa (BRA)

Barbosa verlieh zu Beginn des Kampfes den Eindruck des kontrollierten Offensivboxers, der sich unaufgeregt, aber stetig an den Gegner heranarbeitet. Dass er dabei aber trotz kompakter Deckung von Yves Studer mehrfach mit blitzschnellen rechten Crosses getroffen wurde, war die Folge einer relativen Unbeweglichkeit seines für die Gewichtsklasse enorm muskulösen Oberkörpers. In der zweiten Runde zwang Studer Barbosa dann mit einem präzisen rechten Schwinger zu Boden, von dem sich der Brasilianer allerdings schnell erholte. Dieses Bild hatte eigentlich während der gesamten Kampfdauer Bestand: Der Berner brachte regelmässig seine Rechte als Cross oder als Schwinger zum Kopf ins Ziel. Und das war gleichzeitig die Kehrseite der Medaille: Studer arbeitete fast ohne seine linke Führhand. Selten brachte er mal aus der Distanz eine Kombination ins Ziel, sondern musste dafür in den Mann hinein, wo er aufgrund der kürzeren Reichweite schneller schlagen kann. Freilich ist es eine Freude zu sehen, wie Studer regelmässig mit der Rechten über der Deckung seiner Gegner und gegen die Laufrichtung zusticht. Aber aus der Distanz kann er dann kaum mehr weitere Treffer setzen. In solchen Momenten steht Studer vielmehr Kopf an Kopf mit seinen Gegnern, weil er im Infight von seinen kürzeren Wegen profitiert. Diese Taktik ist zwar gegen Barbosa einmal mehr aufgegangen, birgt aber grosse Risiken. Auch gegen den Brasilianer musste Studer zahlreiche Treffer auf die Deckung hinnehmen, die in der Summe Wirkung entfalten und einen Kämpfer zermürben. Hätte Barbosa gegen Ende noch zusetzen können und die zweite Luft für den Lucky Punch gehabt, es hätte ungemütlich werden können. So aber konnte Studer in den letzten Runden auch seine perfekte körperliche Verfassung ausspielen und traf den Brasilianer im Schlagabtausch mehrmals trocken. Barbosa blieb zwar stehen und forderte Studer demonstrativ auf nachzulegen. Zu einer echten Reaktion war er aber nicht mehr fähig. Und so konnte der Berner am Ende noch mal solide dazupunkten und machte damit endgültig den Weg frei zu seinem ersten WM-Titel.

Die Wertung:

F. Guggenheim:              116:111
J.-F. Toupin:                   117:111
B. Hausammann:             115:112

Die Amateurkämpfe
 
Weltergewicht
Roger Keller (Boxing Kings Bern) vs. Bruno Freitas (BT Oberland)

Eine kleine Offenbarung gleich zum Auftakt des Kampfabends: Im Gefecht zweier Debütanten zeigte der Portugiese aus Thun gegen den sich beherzt wehrenden, aber chancenlosen Keller, was für ein Instinktboxer er ist. Freitas boxt erst seit wenigen Monaten (!) und wird von Christina Nigg betreut. Und die Ex-Weltmeisterin weiss, dass sie einen Rohdiamanten in Händen hält: Schon im Kursaal offenbarte der Thuner, welches Potenzial in ihm steckt: Schnelligkeit, Beinarbeit, Punch, ein präzises Auge - Freitas hat alles, um sich boxerisch hervorragend zu entwickeln. Gegen Keller nahm er am Ende etwas Dampf weg und gab dem Berner damit die Gelegenheit, den Kampf zwar stark blutend, aber doch aufrecht zu beenden.
 
 
Leichtgewicht
Anja Schori (Boxing Kings Bern) vs. Sandra Roulet (BC Carouge)

Die Berner Fotografin verschaffte sich schnell eine optische Überlegenheit und drängte ihre Gegnerin aus Genf in die Defensive. Allerdings ging Schori regelmässig viel zu offen in die Frau, so dass sich diese kaum je die Kontrolle bei ihrer Abwehrarbeit verlor. Roulet konnte infolge der wenig durchdachten Angriffsstrategie Schoris den Kampf zunehmend ausgeglichen gestalten und hätte damit den Sieg der Bernerin beinahe noch in Gefahr gebracht. Letzlich ging aber Schoris knapper Sieg (2:1) absolut in Ordnung.
 

Keller (r.) versucht den Angriff von Freitag abzuwehren

Geht engagiert zur Sache: Anja Schori (l.)
 

Halbschwergewicht
Steve Castella (Boxing Kings Bern) vs. Kreshnik Nikq (BC Zürich)

Schon zum dritten Mal standen sich die beiden Kontrahenden gegenüber, und auch diesmal zog Boxing King Castella den Kürzeren. Castella scheint einfach kein Rezept gegen den von Matthias Luchsinger gecoachten Nikq finden zu können. Auch diesmal liess er wiederholt die Deckung hängen und wurde dafür vom Zürcher sofort bestraft, der, obwohl kleiner, mit langen Rechten ins Ziel traf. Beide arbeiteten variabel, schlugen auch oft zum Körper, aber insgesamt verpufften Castellas Schläge doch zumeist in Nikqs solider Deckung. Erst in der letzten Runde konnte der Berner doch noch etwas Terrain gut machen, aber es reichte in der Endabrechnung nicht mehr. Der Sieg für Nikq durch Split Decision (2:1) war insgesamt verdient.
 

Kreshnik Nikq (r.) attackiert Steve Castella mit der rechten Geraden

Bala Trachsel (r.) ehrt Franziska und Daniel Hart-
mann

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