60 Jahre am Ring – ein Bildband mit dem gewissen Punch

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20.01.2021 10:58 Uhr
Bertram Job Aus dem NZZ-E-Paper vom 20.01.2021

Die Kampfzone der Boxer wird von vier gleich langen Ringseilen begrenzt, und nur wer gerade am richtigen steht, hat die Chance auf ein Foto, das in einem einzigen Moment das ganze Drama einfriert. Im Mai 1965 etwa hat der 23-jährige Fotograf Neil Leifer von Time Life gleich zweimal Glück. Zuerst hält er jenen Moment fest, als Muhammad Ali in der Provinzstadt Lewiston im US-Gliedstaat Maine über dem am Boden liegenden Sonny Liston steht, um ihn zur Fortsetzung ihres zweiten WM-Duells herauszufordern (was ihm nicht gelingt). Kurz darauf bannt er auch noch die Szene, in welcher der Sieger in einem von Menschen wimmelnden Ring von TV-Leuten interviewt wird. Die eine wie die andere Aufnahme wirkt in ihrer epischen Wucht bis heute so breitwandig, wie es sonst nur historische Gemälde vermögen.

Das ist es eben, was laut dem Urheber die besten Sportfotografen von den gewöhnlichen unterscheidet: «Wenn er oder sie die Chance erhält, scheitern sie nicht», sagte Leifer vor neun Jahren in einem Interview. Zu einem Zeitpunkt also, als es längst keine Diskussion mehr darüber gab, in welche Kategorie er selbst gehört. Der inzwischen 78-jährige New Yorker ist nach 170 Cover-Fotos für das Magazin «Sports Illustrated» fast schon so legendär wie die herausragenden Athleten und Athletinnen, die er mit sorgfältiger Vorbereitung und nahezu perfektem Timing abgelichtet hat. Das hat auch mit seinen Beiträgen zu Baseball und American Football zu tun, besonders aber mit denen aus der Welt der «Sweet Science». Dort ist der dezente Mann mit den besonderen Kampfszenen von Sugar Ray Robinson bis zu Tyson Fury, dem gegenwärtigen WBC-Weltmeister im Schwergewicht, über gut sechzig Jahre selber zum «hidden champion» avanciert.

Der kolossale, 2004 veröffentlichte Bildband «GOAT» über das Leben und die Kämpfe von Muhammad Ali wäre ohne die Bilder Leifers nicht so wirkmächtig ausgefallen. In ihm drehte sich alles um den populärsten Boxer überhaupt. Zum Ende des Monats legt der Kölner Taschen-Verlag nun die annähernd so opulente Ausgabe eines fast neun Kilo schweren Bandes vor, der das Œuvre des Fotografen zum Thema dokumentiert. Er heisst «Boxing. 60 Years of Fights and Fighters» und hat ebenfalls das Potenzial, zu einer langlebigen Ikone zu werden. Auch weil er sich auf den meisten der 424 Seiten auf grosse Kämpfer und grosse Duelle fokussiert – vom ersten Titelkampf zwischen Floyd Patterson und Ingemar Johansson (1959) bis heute.

Der Erfolg ist dem Jungen von Manhattans Lower East Side nicht zugefallen. Seine ersten Fotos durfte er mit 13 Jahren bei einem Kurs für Unterprivilegierte schiessen, den auch Stanley Kubrick besuchte. Den Zugang zu wichtigen Baseballspielen erschlich er sich anfangs als Betreuer von Rollstuhlfahrern am Spielfeldrand. Von dort aus fing er 1962 mit einer simplen Yashica die grandiose Szene eines legendären Ligafinals ein (New York Giants gegen die Baltimore Colts). Sie resultierte im ersten Cover-Foto und in einer Anstellung bei Time Life. Den Vorschuss an Vertrauen zahlte Leifer mit besseren Kameras in Form von Klassikern der Sportfotografie zurück. So wurde die Aufnahme aus der Vogelperspektive von Alis K.-o.-Sieg über Cleveland Williams 1966 vom britischen «Observer» zum bisher besten Sportfoto gewählt.

Vor dem Hintergrund ist es auch kein Zufall, dass Leifer 2014 als bisher Einziger aus der Gilde der «Knipser» in die International Boxing Hall of Fame in Canastota aufgenommen wurde. Hier, im Norden des Gliedstaats New York, wird ihm die Gesellschaft herausragender Boxer Tag für Tag zuteil.

Siehe auch Buchempfehlung: Neil Leifer. Boxing. 60 Years of Fights and Fighters

 

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