Die «Faust der Nation» greift nach den Sternen

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08.10.2021 08:43 Uhr
Rod Ackermann, NZZ vom 06.10.2021 (JS)

Der frühere Boxer Manny Pacquiao will Präsident der Philippinen werden – es wäre die Krönung eines märchenhaften Aufstiegs

Er ist beileibe nicht der erste Boxweltmeister, der sich nach dem Abschied vom Ring, berauscht durchs Rampenlicht, in einer anderen Branche versucht. Aber im Gegensatz zu Sugar Ray Robinson, Muhammad Ali sowie manch anderen früheren Grössen bedrängen ihn keine finanziellen Sorgen: Emmanuel «Manny» Pacquiao bieten sich verheissungsvolle Perspektiven.

Zum einen stellt sich für ihn, der es als bisher Einziger seines Fachs in acht Gewichtsklassen zum Champion brachte, nicht die Frage der Hautfarbe und der damit einhergehenden Diskriminierung. Zum andern ist seine Gesundheit intakt, physisch wie psychisch, für ausgediente Faustfechter eher die Ausnahme.

Dann also auf zu höheren Weihen, und zwar weder als Geschäftsmann oder Reklamefigur noch als Sänger oder Schauspieler, all das hat der 42-Jährige längst abgehakt und dabei Dutzende von Dollarmillionen angehäuft. Nein, der Sinn von «Pac-Man» – so der geläufigste seiner vielen Spitznamen – steht nach Höherem: Präsident seiner philippinischen Heimat will er werden.

Kein Polit-Neuling

Von den Landsleuten ungeachtet sozialer Klassenzugehörigkeit oder politischer Couleur verehrt wie ein Held, kandidiert Manny Pacquiao für die Nachfolge des umstrittenen Rodrigo Duterte, der im Frühjahr 2022 nach sechsjähriger Amtszeit zurücktreten muss (eine Wiederwahl ist gemäss Verfassung ausgeschlossen).

Ob der frühere Box-Champion, auf politischem Parkett als Parlamentsabgeordneter und Senator längst kein Neuling mehr, die hierfür erforderlichen Kenntnisse mitbringt, ist zwar fraglich. Aber dafür kann der 166 Zentimeter kleine Mann mit Dynamit in den Fäusten einen Lebenslauf wie einen Wahlschlager vorweisen.

Ihm gelang ein märchenhafter Aufstieg aus bitterster Armut zu Reichtum und Ruhm, ermöglicht durch harte Arbeit sowie unerschütterlichen Glauben. Das ist der Stoff für Bilderbuchkarrieren – im 110 Millionen Einwohner zählenden, durch Armut, Bürgerkrieg und Korruption gebeutelten Inselreich im Pazifik vielleicht noch mehr als anderswo.

Politiker lieben es, sich als «Mann des Volkes» anzupreisen, doch kaum einer ist dazu berechtigter als Manny Pacquiao. Aufgewachsen mit einer alleinerziehenden Mutter und fünf Geschwistern in der durch islamistische Guerillas heimgesuchten Südprovinz Mindanao, hielt der zutiefst katholisch erzogene Bursche die Familie anfänglich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Später entdeckte er das Boxen als Chance, nicht anders als viele hungrige Filipinos.

Soziale Ader

Auf den Philippinen ist der Faustkampf neben Basketball der populärste Sport, von Hahnenkämpfen einmal abgesehen. Dort kam Pacquiao, so zäh wie kampflustig, bald nach oben. Die Fights wurden mit den Jahren immer grösser, das international wachsende Renommee verhalf ihm zu Titelkämpfen in den Vereinigten Staaten, dem Eldorado des Preisboxens.

Während sich die Stadien füllten und sich die Millionengagen häuften, zweigte der Champion – alsbald «Faust der Nation» geheissen – jeweils einen ansehnlichen Teil seiner Börsen für wohltätige Zwecke im Heimatland ab, in der Regel eine Million philippinischer Pesos (ca. 18 000 Franken). Überdies erlebte Pacquiao mit seiner Jugendliebe Jinkee fünfmal Elternfreuden.

Störend empfunden wurden da weder aussereheliche Abenteuer noch Steuerhinterziehungen, die nicht so recht zum Bild des geläuterten Christen passen wollten – er war von der katholischen zu einer evangelischen Kirche übergetreten. Wesentlich mehr Gewicht hatte die jeweils auf null sinkende Kriminalitätsrate: Die ganze Nation, Bandenkrieger und Drogenhändler mit inbegriffen, schaute gebannt zu, wenn Pacquiao zuschlug. Bald war er der berühmteste Filipino auf der ganzen Welt, bestens geeignet dafür, das durch korrupte Figuren wie die frühere Präsidentenwitwe Imelda Marcos erzeugte schlechte Image des Landes zu übertünchen. Weil es im südostasiatischen Inselstaat keine Seltenheit ist, dass populäre Figuren – Schönheitsköniginnen und Sportstars, Schlagersänger und Influencer – ins politische Leben wechseln, war es überfällig, dass der «Pac-Man» denselben Schritt wagte.

Der populistischen Bewegung des nachmaligen Präsidenten Duterte nahestehend, liess er sich ins Repräsentantenhaus und danach in den Senat wählen, fiel dort jedoch durch die höchste Abwesenheitsrate auf. Die mangelhafte Präsenz, begründet mit Trainingslagern und Auftritten in Übersee, tat seiner Popularität kaum Abbruch, ebenso wenig homophobe Äusserungen («schwule Paare sind schlimmer als Tiere»), für die sich Pacquiao später entschuldigte, wenn auch halbherzig.

Gemischter Widerhall

So ist es denn sechs Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl nicht erstaunlich, dass die Kandidatur des Boxers, der sich im vergangenen August nach seiner achten Niederlage endgültig vom Ring verabschiedete, auf gemischten Widerhall stösst. Wie eine – keinesfalls repräsentative – Reihe von Telefonaten mit seinen Landsleuten erkennen lässt, halten es die Älteren, die Bildungsfernen, die Religiösen eher mit dem Präsidentschaftsanwärter, wogegen die Jüngeren und besser Ausgebildeten mit zum Teil harscher Kritik aufwarten.

Da ist beispielsweise der Pensionär S. I. , der aus seiner Bewunderung für Pacquiao kein Hehl macht. «Manny ist ein starker Kandidat, weil er den kleinen Leuten hilft, nicht korrupt ist und sich zudem nicht so vulgär ausdrückt wie Duterte», so der Spätsechziger. «Ausserdem würde er die Interessen der Filipinos vertreten und den Einfluss Chinas eindämmen.»

Entschieden anderer Ansicht ist sein Sohn J. «Pacquiao mangelt es sowohl an Erziehung wie auch an Intelligenz», beklagt der Hochschulabsolvent. «Man schaue doch nur das Youtube-Video an, in dem klar ersichtlich ist, wie ihm ein Souffleur zuflüstert, was er ins Mikrofon des Senats sprechen soll.»

Kritisch äussert sich auch L., ein Anwalt aus der 13-Millionen-Metropole Manila. «Pacquiaos politische Bilanz ist gleich null, ebenso seine Management-Fähigkeit. Deshalb schätze ich seine Siegeschancen in der Präsidentschaftswahl als gering ein. Hinzu kommt, dass er derselben Region entstammt wie Duterte und dessen Wählerschaft mit dessen Günstlingen zu teilen hat.»

In diesem Zusammenhang bemerkt der Jurist, dass in seinem Land sehr oft nach ethnischer beziehungsweise religiöser Zugehörigkeit gewählt werde statt aufgrund von Fachkompetenz. Ausserdem bleibe eine Kandidatur von Dutertes Tochter möglich, sagt er warnend (Meldeschluss ist der kommende Freitag). Ihr Vater hat sich mit Pacquiao unlängst öffentlich zerstritten, der Präsident warf ihm vor, zu viele Kopftreffer eingesteckt zu haben.

Aufschlussreich sind auch Stimmen aus der Diaspora. Der nach Neuseeland ausgewanderte E., als Pendler zwischen neuer und alter Heimat das Geschehen auf den Philippinen eifrig beobachtend, hält den früheren Boxer für «nichts als eine Marionette einflussreicher Politiker». Einer seiner Kollegen, Computerfachmann auch er, sagt es bildhaft: «Manny wäre wie ein Quacksalber und nicht wie ein ausgebildeter Arzt, um die Probleme meines Landes zu lösen.» Dass Pacquiao dabei der Schutz Gottes zukommt, glauben nicht wenige bibelfeste Filipinos und Filipinas, sie bezweifeln jedoch, dass die Zeit für Manny gekommen ist.

Ein logischer Kandidat

Wenn es um die Nachfolge eines Mannes wie Rodrigo Duterte geht, der öffentlich zur Ermordung von Drogenhändlern und deren Kundschaft aufrief, was Tausende von Todesopfern forderte, der ausländische Staatsoberhäupter öffentlich beleidigte und den früheren US-Präsidenten Barack Obama als «putang ina mo» (Hurensohn) bezeichnete, so scheint es so abwegig nicht, dass ein Preisboxer zur Wahl antritt.

Und sollte dieser tatsächlich auf Einflüsterer hören, ist nicht auszuschliessen, dass diese von Segen sind. Im Falle einer Nichtwahl ist Bedauern keineswegs am Platz: Die «Faust der Nation» wird sich auf dem Lorbeer zur Ruhe setzen können.

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