Frauen-EU-Meisterschaft in Katowice

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09.06.2011 12:58 Uhr



09.06.2011 - Das Swiss Women Boxing Team nahm mit zwei Boxerinnen an der EU-Meisterschaft 2011 in Katowicein Polen teil. Als einziges Nicht-EU Land durfte die Schweiz an der „kleinen“-Europameisterschaft teilnehmen, welche ohne die starken Nationen (Russland, Ukraine, Rumänien,usw..) stattfand. Die „grosse“-Europameisterschaft mit allen Nationen findet im Oktober 2011 in Rotterdam statt.

Bericht von Angelo Gallina

Mit mehr als 20 Nationen und an die 90 Boxerinnen war das Turnier gut besucht. Die Auslosung fand unter Protesten statt. Das Gastgeberland hatte diese selbstständig erledigt und alle guten Boxerinnen „weit weg von den Heimboxerinnnen platziert“. Ein Vorgehen, das auf diesem Niveau und bei einer internationalen Meisterschaft kein gutes Licht auf die Organisation wirft, und auch von einem Beobachter des polnischen olympischen Komitees bemängelt wurde.

Alle Teams haben die Anreise und auch die happigen Turnierspesen (mehr als 500 Euro pro Teilnehmerin, Coach extra) selber bezahlt, um sich hier zu messen. Dazu gehört auch eine einwandfreie Auslosung. Die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012 findet bei den Damen an einem Einzigen Turnier statt, Anfangs 2012 bei der WM in China, kaum auszudenken was passieren würde, wenn sich das dort auch nur ansatzweise Gleiches abspielen würde. So waren bei dieser EU-Meisterschaft sagenhafte 10 polnische Boxerinnen im Final, was es bisher in der ganzen Boxgeschichte noch nie gab. Ein weiterer Kommentar erübrigt sich.

Neben den Wettkampftagen wurde die verbleibende Zeit genutzt für zusätzliche Trainings- und Sparringseinheiten. Jeden Morgen war um 07:00 Uhr Tagwache. Am verbleibenden freien Tag haben wir gemeinsam das Konzentrationslager Auschwitz besucht.
 

Zu den Kämpfen:

Sandra Brüggervom Boxclub Basel boxte im 1/8 Finale gegen die Belgierin Ann Verheyenu und besiegte diese klar mit 18:6 nach Punkten. Im 1/4 Finale stand sie der Polin Karolina Graczyk gegenüber. Eine machbare Aufgabe für die Baslerin, welche jedoch 3 Runden lang nicht zu ihrem Rhythmus fand und lediglich in der 4. und letzte Runde ihr Können zeigen konnte. Mit 14:6 unterlag Brügger und holte damit Platz 5. Man muss fairerweise auch hinzufügen, dass dies der erste Einsatz für Brügger seit Monaten war (sie zog sich diesen Februar eine Verletzung an der Hand zu und der Trainings- und Wettkampfausfall wirkten natürlich auch nach).

Jennifer Corti hatte Losglück. Sie war in einer Gruppe von 6 Teilnehmerinnen und wurde, - welch ein Zufall - direkt in das Halbfinale gelost und musste gegen die erfahrene Polin Furmaniak Katarzyna antreten. Corti boxte sehr zurückhaltend und verlor klar mit 19:3 Punkten. Boxen lebt von Geschichten. Eine weitere gesellt sich nun dazu. Just zu ihrem 50’sten Kampf bringt sie die grösste Auszeichnung ihrer Karriere nach Hause. Bronzemedaille an der EU-Meisterschaft 2011, welch ein verdiente Auszeichnung! Sie fing am gleichen Tag wie Sandra Brügger (unterdessen 84 Kämpfe) ihre Wettkampfkarriere vor mehr als 8 Jahren in Grenchen an. Damals im Schatten der übermächtigen Dina Burger, welche auch im Boxclub Grenchen trainierte und es bis zur Weltspitze geschafft hatte. Dina Burger’s Karriere ging abrupt zu Ende und Jennifer boxte munter weiter. Lange noch in Grenchen, dann zog sie beruflich ins Tessin und boxte in Italien weiter. Im 2009 wurde sie italienische Meisterin und wechselte zum Box Club Ascona, im Folgejahr krampfte sie sich in die nächst unterer Gewichtskategorie (bis 64 Kg) um die Chance für einen Kampf um die Schweizermeisterschaft zu erhöhen. Dieser blieb ihr verwehrt (keine Gegnerin in den Kategorien 64 und 69 Kg). Beim international en Turnier in Hamburg dieses Jahres, blieb sie ebenfalls ohne Gegnerin. Diese zog sich nach zwei Tagen Warten plötzlich zurück. Tränen der Enttäuschung flossen. Dann jedoch wendete sich das Blatt. Einsatz beim internationalen Turnier in Paris, Nomination für das Swiss Women Boxing Team und Teilnahme an der EU-Meisterschaft. Eine verdiente Auszeichnung für jahrelanges intensives Trainieren und Kämpfen. Ihre sympathische, teamdienliche und loyale Eigenart hat sie stets beibehalten.
 

Fazit aus Schweizer Sicht

Eine Bronzemedaille und ein 5.Platz für den Schweizer Boxsport sind ein Erfolg! Mit Ausnahme von Dina Burger und Sandra Brügger und jetzt Jennifer Corti gibt es sonst niemand der solch einen Erfolg aufweisen kann. Das Frauenboxen hat sich seit der Aufnahme zu Olympiasportart verändert. Die meisten Nationen investieren viel Geld und Infrastruktur in die jüngste olympische Sportart. So hat die Weltmeisterin Taylor ein Sponsoring Budget von über 100‘000 Euro, die Deutschen Damen arbeiten als Berufssportlerin bei der Armee und boxen 10 Monate im Jahr durchgehend, die Holländerinnen werden finanziell unterstützt durch den Verband, England und Frankreich haben eigens zusammengestellte Teams mit Physiotherapeuten, Arzt und sogar einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin (Datenauswertung, Wettkampfanalyse), Schweden finanziert ein Juniorinnenteam, die osteuropäischen Ländern Reisen das ganze Jahr hindurch von Turnier zu Turnier, die meisten Trainer haben ein Vollzeit- oder ein Teilzeitmandat und sind beim Verband angestellt, Spesen werden vollumfänglich vom Verband bezahlt, usw. 

Die Schweiz arbeitet in Ihrem vorgegebenen Rahmen. Der Nationaltrainer erhält eine Tagespauschale von 100 Franken und bezieht unbezahlte Ferien. Die Reisespesen werden übernommen. Boxerinnen arbeiten allesamt oder studieren. Sie brauchen für Ihren Sport ihr Ferienkontingent auf und verdienen beim Boxen keinen einzigen Franken. Von gleichen Voraussetzungen zu reden ist nicht angebracht und Vergleiche demensprechend nicht machbar. 

Zusammengefasst kann man sagen, dass Investitionen finanzieller und struktureller Art die Aussichten auf einen Erfolg erhöhen, was auch unsere Nachbarländer unter Beweis stellen. Nichts verändern oder das Warten auf ein Jahrhunderttalent ist keine lang andauernde Alternative und führt zum Stillstand. Es muss in Jugendarbeit investiert, bestehende Boxerinnen gefördert, und Rahmenbedingungen verbessert werden und gleichzeitig internationale Wettkampferfahrungen gesammelt werden. So braucht es auch Anpassungen an Wertungssysteme. Das Regelwerk wird regelmässig verändert. So erfuhren wir erst in Polen, dass nach einem neuen Punktesystem gewertet wird. Die letzten 5 Jahre wurden nur die klaren Treffer gewertet was Ergebnisse im einstelligen Bereich zur Folge hatten (2:0, 6:4..), dementsprechend wurden die Boxstile (solide Doppeldeckung und gezielte Aktionen, etc.)  und die jeweiligen Trainingsarbeiten bei den Damen angepasst. Ab sofort werden jetzt sämtliche Treffer gewertet, und die zwei Wertungsrichter, die am entferntesten liegen vom Endergebnis werden gestrichen, das Resultat wird am Schluss der Runde angepasst und dem Publikum und der Ecke angezeigt. Die Ringrichter bleiben unvoreingenommen. Dieses System führt vermehrt zu zweistelligen Ergebnissen und belohnt die erhöhte Aktivität im Ring, was wiederum auch andere Arbeitsweisen verlangt.

  

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